Schwarzer Regen
jeden Tag in
einer Fabrik arbeitete, die Güter für die Armee herstellte, und täglich mit der
Produktionssteigerung beschäftigt war, hatte ich mich nach und nach an den
Gedanken gewöhnt, daß Hitler in unserem eigenen Interesse siegen sollte. Aber
seit dem Abwurf der Bombe hatten meine Vorstellungen eine plötzliche Wendung
genommen, und ich fühlte langsam, daß ich an eine Menge Unsinn geglaubt hatte.
Nach außen hin verfolgte ich die gleiche offizielle
Linie wie zuvor. Ich selbst hatte die Abschrift eines Aufrufs von Gouverneur
Kono an die Einwohner der Präfektur Hiroshima vom 7. August angefertigt und am
Werkeingang angeschlagen.
„Die jüngste Katastrophe“, hieß es darin, „ist
Teil eines gegnerischen Anschlags, um den Kampfgeist unseres Volkes durch
Luftangriffe von entsetzlicher Grausamkeit zu brechen. Bürger von Hiroshima,
die Verluste mögen groß sein, aber wir haben Krieg! Ungeachtet aller
Eventualitäten planen wir bereits Hilfs- und Wiederaufbaumaßnahmen, und die
Armee gibt uns unschätzbare Unterstützung. Kehrt ohne weitere Verzögerung an
die Arbeit zurück — nicht ein Tag darf uns bei der Kriegsführung verlorengehen! “ .
Es war der 9. August, an dem ich diesen Aufruf
am Brett aushängte — nicht lange vor dem Augenblick, als morgens zwischen 10.50
Uhr und 11 Uhr die zweite Bombe auf Nagasaki fiel. Das ging mir erst auf,
nachdem ich eine Bekanntmachung über den Bombenabwurf von Nagasaki gelesen und
einen ausführlichen Bericht gehört hatte. Damals hatte irgend
jemand in einem unbeobachteten Augenblick einen Kringel um das Wort
„unschätzbar“ in dem Satz „die Armee gibt uns unschätzbare Unterstützung“
gemacht. Einen Tag später war der Anschlag weg, unbekannte Hände hatten ihn
abgerissen. Auf das Anschlagbrett hatte jemand mit großen Buchstaben
geschrieben: „Man kann nicht Krieg führen mit leerem Magen!“
(Der Geschäftsführer mußte das Geschreibsel auch
bemerkt haben, aber er sagte nichts. Auch ich wischte es nicht weg. Es blieb
bis zum 15. August dran, dann, nach der kaiserlichen Botschaft über das Ende
des Krieges, sah ich, daß es weg war — anscheinend mit einem Lappen abgewischt.
Der Bleistiftkringel, der geschriebene Satz und auch die Art und Weise, wie man
ihn wieder entfernt hatte, schienen mir das Denken und Fühlen der
Fabrikarbeiter während des Krieges widerzuspiegeln.)
Ich trank drei Gläser Alkohol mit Wasser und aß
meine gedünsteten Maulbeerblätter. Es war der erste Alkohol seit langer Zeit,
und ich wurde leicht betrunken. Und trotzdem kam ich irgendwie nicht in die
rechte Stimmung. Der Geschäftsführer trank dreimal soviel wie ich. Je mehr er
trank, desto blasser wurde er und desto ausfallender beschimpfte er Leutnant
Sasatake vom Bekleidungsdepot und dessen Gehabe. Wir hatten beide die bittere Erfahrung
gemacht, daß wir vor den Leuten des Heeresamtes kriechen mußten, wenn wir die
Fabrik in Gang halten wollten. Man haßte sich selbst, weil es die niederen
menschlichen Eigenschaften zum Vorschein brachte. In ihren Augen müssen wir
spaßige Marionetten gewesen sein, die sich auf ihr Geheiß bewegten.
Der Geschäftsführer leerte seine Schale mit
Gerstenbrei säuberlich und verabschiedete sich dann. Beim Gehen verkündete er
plötzlich in einer Art grimmiger Ausgelassenheit, daß er am nächsten Tag auf
dem schwarzen Markt seine beste Nationaluniform verkaufen würde. Dann ließ er
sich auf die Treppenstufe des Eingangs fallen und erging sich mit der
fröhlichen Inkonsequenz eines Volltrunkenen in der Betrachtung, daß es
haargenau die gleiche Uniform sei, wie sie die Mitglieder irgendeiner neuen
religiösen Organisation jahrelang getragen hätten. In dem Garten, wo die
religiöse Organisation ihren Sitz hatte, verkündete er als nächstes, hätte er
ein Ammernnest gesehen und die Vogeleltern hätten ihren Jungen emsig Larven
gebracht.
„Übrigens...“, begann er plötzlich mit lauter
Stimme und rollte sich die Ärmel seines Kimonos wie ein Arbeiter auf. „Wissen
Sie, was die Ammer sagt, wenn sie singt? Ich werd’s Ihnen erzählen — sie singt: ,Nur eine Zeil oder zwei’, das singt sie.“ Er wandte
sich an Yasuko. „Und nun, meine junge Dame, vergessen Sie nicht, wenn Sie nach
Hause kommen, mir einen Brief zu schreiben, und zwar: ,Nur eine Zeil oder zwei.’ “
„Das werde ich gewiß tun, Herr Fujita“, sagte
Yasuko. „Aber dort, wo ich herkomme, singen die Ammern: ,Bring ‘n Krug, Großer, wir brauchen was Saures’
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