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Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Masuji Ibuse
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    „Ach, gehn Sie — das ist viel zu lang.“
    „Als ich noch ein kleines Mädchen war, sangen
sie: ‚Tschiep, tschiep, achtundzwanzig Tage.’ “
    „Gut! Das ist viel kürzer!“ Er kam schwankend
auf die Beine und verabschiedete sich.
    Auch als ich ein Kind war, hatten die Ammern
immer gesungen: „Tschiep, tschiep, achtundzwanzig Tage.“ Die Kinder versuchten
es nachzumachen. Sie wiederholten die Laute immer wieder, und zum Schluß sangen
sie dann: „Möhren und Wurzeln mag ich nicht, aber gebackenen Tofu eß ich in
Massen, auch wenn er verschrumpelt ist.“ Bis zum heutigen Tage habe ich keine
Ahnung, was das eigentlich alles bedeutet.

Zwanzigstes Kapitel
     
     
    14. August. Bewölkt, später schön.
    Shigeko und Yasuko machten sich kurz nach fünf
Uhr früh auf den Weg in unsere Heimat, den Kreis Jinseki, und ließen mir einen
Brief für den Hausbesitzer da. Ich sorgte dafür, daß sie gedörrten Reis
mitnahmen, damit sie unterwegs etwas zu essen hatten, dazu ein wenig Salz und eine
Flasche Wasser. Es war absolut nichts Eß- oder Trinkbares weiter im Haus. Nach
den offiziellen Regelungen hätten sie eine Bescheinigung vom Vorsitzenden der
Nachbarschaftsvereinigung benötigt, aus der hervorging, daß sie ausgebombt
waren; aber sie fuhren ohne alles, da sie den Zug nach Norden über Kabe und
Shio-machi nahmen, ohne Hiroshima zu passieren. Es gab keinerlei Beschränkungen
für Leute, die die zerstörte Stadt verlassen wollten.
    Ich legte mich noch einmal hin, nachdem ich sie
verabschiedet hatte, träumte aber, daß ein Mann mit einem Bein in einem zu
langen Kimono, der einen großen Löffel über der Schulter trug, hinter mir her
hüpfte, und wachte auf. Ich schwitzte leicht. Ich zog mein Nachtzeug aus, um
mich für die Arbeit anzuziehen, und merkte dabei, daß ich den Bademantel meiner
Frau und ihren roten Gürtel anhatte. Als am Abend vorher der Geschäftsführer
nach Hause gegangen war, hatte ich den Tisch abgeräumt und mich sofort ins Bett
gelegt, da aber Shigeko und Yasuko mir mein Unterhemd und den Nachtkimono
weggenommen hatten, um sie im Bach hinterm Haus zu waschen, muß ich das erste
beste, was mir in die Hände fiel, angezogen haben.
    Die Dreiviertelliterflasche war noch ein Drittel
voll. Sollte ich einen Schluck nehmen oder nicht? Ich zog den Korken heraus,
roch daran, steckte den Korken wieder hinein und ging in die Küche, ein Glas zu
suchen, als Fliegeralarm ertönte.
    Ein paar Tage vorher hatten die Behörden der
Westjapan-Armee eine Warnung herausgegeben: Man sollte die Eingänge zu den
Luftschutzbunkern verdeckt halten und den Körper nicht unbekleidet lassen, da
die feindliche Bombe ihre Hauptwirkung durch die Druckwelle und eine intensive
Hitzeausstrahlung erzielte. Sie hatten auch gesagt, daß man Unterschlupf suchen
sollte, selbst wenn es sich nur um ein oder zwei feindliche Flugzeuge handelte.
Leider war der Bunker von unserem Hauswirt nur ein einfaches, in die Erde
gegrabenes Loch. Ich ging nach draußen, konnte aber kein Anzeichen eines
Flugzeugs entdecken, weder am Himmel zwischen den Bergen bei Kabe noch in der
Gegend von Hiroshima. Ich schloß das Haus ab und ging zum Werk hinüber. Die
Sirene heulte Alarm, und ich hörte eine Reihe Explosionen, wie wenn Bomben
fallen. Die Erde bebte. „Iwakuni!“ hörte ich jemand in einem Haus an der Straße
rufen. Ich lief am Schlafsaal der Arbeiter vorbei in das Bürogebäude. Noch war
keine Menschenseele hier. Da ich nicht recht wußte, was ich tun sollte, stopfte
ich einen Zigarettenstummel in einen kleinen Pfeifenkopf und rauchte, als
plötzlich einige Fabrikmädchen hereinstürzten.
    „Guten Morgen, Herr Shizuma“, sagten sie ganz
außer Atem. „Was ist geschehen?“
    „Nichts Besonderes“, antwortete ich. „Warum — stimmt
etwas nicht?“
    „Der Schlafsaalinspektor hat uns hergeschickt,
wir sollen fragen, was los ist. Irgend etwas muß
geschehen sein, hat er gesagt, weil Sie so zeitig zur Arbeit gekommen sind, und
da sind wir hergelaufen, um Sie zu fragen.“
    Während sie sprachen, tauchten noch mehr
Arbeiter auf, mit verwirrtem Gesichtsausdruck. „Guten Morgen“, sagten sie. „Ist irgend etwas Ernstes geschehen?“ Einer von ihnen fuhr
fort: „Dem Geräusch nach waren das vorhin einfache Bomben, glaube ich. Alle
sagen, das war in Iwakuni, wirklich...“
    Ich fühlte mich nicht wohl in meiner Haut. „Es
ist nichts Besonderes los“, sagte ich. „Ich will nach Koi gehen heute und wegen
Kohle verhandeln. Ich bin nur

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