Schwarzer Regen
holen“, sagte Shigeko und
wollte aufstehen. „Wir haben welche, die wir für Curry benutzen, wenn die
gehen.“
„Nein, nicht doch, Frau Shizuma“, erwiderte der
Geschäftsführer, „ich benutze nie etwas anderes als wohlriechende Eßstäbchen
zum Umrühren. In diesen Dingen bin ich konsequent. Auch beim Mischen von Wasser
mit Alkohol bin ich ein strikter Anhänger der ,Sieben -zu-drei-Teile-Theorie“.
Aber, wie Sie sehen“, fügte er fröhlich hinzu und goß sich etwas mehr von dem
Getränk in sein Glas, „Theorie und Praxis gehen nicht immer Hand in Hand.“
„Also dann, Herr Fujita“, sagte ich und erhob
mein Glas. „Zuerst auf Ihre Gesundheit!“
„Auf unsere Gesundheit!“ erwiderte er und stieß
mit mir an.
Der leicht bittere Geschmack in dem Getränk mag
vielleicht nur Einbildung gewesen sein. Das Aroma war wirklich gut, der Alkohol
absolut rein, und der Sirup darin schien gerade die richtige Süße hinzuzufügen.
Weder Shigeko noch Yasuko tranken, deshalb redete
ihnen der Geschäftsführer zu, schon mit dem Essen zu beginnen.
Dreißigprozentiger Alkohol war für mich zu stark, aber anstatt mehr Wasser
hineinzutun, nippte ich nur immer dran. Ich hatte noch nie zuvor
Maulbeerblatt-Tempura gegessen, aber ich fand, daß die Blätter in Salz gestippt
sehr gut zu dem Getränk paßten. Seit dem Kriege habe ich bei den
verschiedensten Gelegenheiten ähnliche Tempuras probiert, aus
Chrysanthemenblättern oder auch aus jungen Blättern des Dattelpflaumenbaumes.
Der Geschäftsführer hatte beabsichtigt, ein
kleines gemütliches Dinner für unsere Familie zu geben, könnte man sagen. Aber
es wurde eine Abschiedsparty, und wir blieben zum größten Teil immer wieder bei
den gleichen niederdrückenden Themen hängen. Wie ich erfuhr, war der Geschäftsführer
selbst auch auf dem Gelände des Kohlenerfassungsamtes in Hiroshima gewesen.
Dann hatte er Leutnant Sasatake vom Heeresbekleidungsamt aufgesucht, aber
nirgends Glück gehabt. Er wollte Dr. Koyama, einen Bekannten im
Postkrankenhaus, besuchen. Als er aber erfuhr, daß der Arzt pausenlos unterwegs
war, um Patienten zu behandeln, hatte er nicht darauf bestanden, ihn persönlich
zu sehen, hatte sich am Ausgang des Krankenhauses eine Zigarette angezündet und
dabei eine Unterhaltung zwischen zwei Krankenschwestern mit angehört. Dort
erfuhr er zum erstenmal den richtigen Namen für das Ding, das diesen
unheimlichen Blitz und Donner über der Stadt verursacht hatte.
„Eine ‚Atombombe’“, sagte er mit von dem Getränk
blassem Gesicht. „Das ist offensichtlich der Name dafür. Sie gibt eine
schreckliche Strahlung ab. Ich habe selbst in den Trümmern ein paar
Ziegelsteine gesehen, die vollkommen zerfressen waren, mit Blasen auf der
Oberfläche. Auch die Dachziegel hatten eine Feuerfarbe angenommen. Sie haben da
eine verheerende Waffe produziert. Man sagt, daß in den nächsten fünfundsiebzig
Jahren dort nichts wachsen wird.“
Der Name der Bombe hatte schon verschiedene
Varianten durchlaufen, von der ursprünglichen „neuen Waffe“ über „Bombe neuen
Typs“, geheime Waffe“, „Bombe speziellen neuen Typs“ bis hin zur „speziellen
Hochwirkungsbombe“. An jenem Tag lernte ich zum erstenmal die Bezeichnung
„Atombombe“ kennen. Aber ich konnte nicht glauben, daß fünfundsiebzig Jahre
lang nichts mehr wachsen sollte. Hatte ich doch Unkraut gesehen, das in Mengen
zwischen den Trümmern wucherte.
„Jetzt, da Sie es erwähnen“, sagte der
Geschäftsführer, als ich davon sprach, „ich hab es auch gesehen. Ich hab
Sauerampfer gesehen, der oben schon umkippte, weil er so hoch gewachsen war.“
Ich erinnere mich an einen Essay von dem
Schriftsteller Hakucho Masamune. Er war in der Zeitschrift „Yomiuri Shimbun“
erschienen, ich glaube, etwa zu der Zeit, als Deutschland, Italien und Japan
die Achse bildeten. Darin bemerkte der Verfasser, ihn habe ein Film mit Hitler,
der eine Rede an die Hitlerjugend hielt, einzig und allein an das Gebrüll eines
gefährlichen Tigers erinnert. Zu jener Zeit war es sehr ungewöhnlich, daß irgend jemand in der Öffentlichkeit etwas wenig
Schmeichelhaftes über Hitler sagte. Einige Mitglieder der Hitlerjugend hatten
Japan besucht, und der Gouverneur einer Präfektur hatte sogar sein eigenes
Jugendkorps genau nach ihrem Muster organisiert. Der Artikel hatte einen
starken Eindruck auf mich gemacht; ich fand es erfrischend, daß in einer Zeit,
wo alle ins gleiche Horn tuteten, einer so etwas schrieb. Da ich
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