Schwarzer Regen
während ich den Kopf
bewegte, die Luftblasen glitten sanft streichelnd über die Wange. Ich hatte
mörderischen Durst, deshalb füllte ich den Eimer wieder mit frischem Wasser,
gurgelte dreimal und trank. Ich glaube nicht, daß mich jemand gelehrt hatte,
das zu tun, aber schon als Junge habe ich immer daran gedacht, dreimal zu
gurgeln, bevor ich aus einem Brunnen oder einer Quelle in unbekannter Gegend
trank. Die anderen Jungen behaupteten auch, immer erst dreimal zu gurgeln. Man
konnte dadurch vermeiden, daß man sich den Magen an unsauberem Wasser verdarb,
es wurde aber auch als ein Zeichen der Ehrerbietung vor dem Wassergott
angesehen, der im Brunnen oder in der Quelle wohnte.
Die Zahl der Passanten auf der Straße hatte
jetzt ganz beträchtlich abgenommen. Wir gingen unseren Weg zurück, ich selbst
vornweg, und stiegen durch die Ruinen des Yokogawa-Bahnhofs, als sei es das
Selbstverständlichste von der Welt. Frau Takahashi lief weinend hinter mir und
jammerte über den Verlust ihrer Tasche, in der sich all ihr Hab und Gut befand.
„Es ist eine Lackledertasche mit einem
Schulterriemen“, sagte sie, obwohl sie mir das schon ein paarmal erzählt hatte.
„Mit einem goldfarbenen Metallverschluß.“
„Sie werden sie verloren haben, als Sie in dem
Gedränge hinstürzten“, antwortete ich, wobei ich mich auch wiederholte.
Nicht eine Seele war auf dem Bahnhof. An der
Sperre und auf dem Bahnsteig lag alles mögliche verstreut: Schuhe, Holzpantoffeln, Sandalen, Turnschuhe, Schirme,
Luftschutzumhänge, Jacketts, Körbe, Bündel in Einschlagtüchern, Brotbüchsen — alles
durcheinander, wie in der Garderobe bei einer Schulaufführung am Tag der
Abschlußfeier. Frühstückskörbe gab es besonders viele, und zu sehen, wie da
alles ausgekippt herumlag, versetzte mir einen sonderbaren Schock — kein Wunder
vielleicht, denn die Lebensmittelknappheit ließ einen ständig ans Essen denken.
Die Reiskuchen waren nicht einfach aus gutem gewöhnlichem Reis, sondern mit
Gerste vermischt oder mit Sojabohnen, aus denen man bereits alles Öl ausgepreßt
hatte, oder aus Reis vermengt mit irgendwelchem Gemüse oder den Rückständen von
der Tofu-Zubereitung. Zu diesem Reis aß man dann höchstens noch eingelegte
Rettiche. An all dem konnte ich mir noch einmal das irrsinnige Durcheinander
ausmalen, das hier noch vor kurzem geherrscht hatte.
„Da ist sie ja, meine Tasche, da!“
Sie sprang vom Bahnsteig auf die Gleise, genau
an der Stelle, wo sie und ich und alle anderen aus dem Zug gestürzt waren, als
der Feuerball am Himmel aufflammte.
„Na, dann muß meine Brille auch da sein, wo ich
in der Menge eingekeilt war.“
Ich hatte recht. Sie lag an dem Pfeiler, an den
ich mich geklammert hatte. Glücklicherweise waren die Gläser ganz, aber an der
linken Hälfte des Gestells hatte sich das Zelluloid aufgeringelt wie eine
Feder, der Metallkern lag bloß und glänzte. Ich brach das Zelluloid ab und
hatte jetzt eine Brille mit Schlagseite; die linke Hälfte, Bügel und Fassung,
waren aus Metall und die rechte Hälfte aus Zelluloid.
Frau Takahashi hob die Handtasche auf und sah
nach, was drin war, wobei sie „Dem Himmel sei Dank“ ausrief.
Als ich meine Brillengläser am Kragen meines
offenen Hemds putzen wollte, spürte ich, wie meine Hand zitterte. Sie zitterte
so stark, daß Frau Takahashi es bemerkte, denn sie meinte: „Soll ich sie Ihnen
putzen, Herr Shizuma?“
„Nein, danke, es wird schon gehen“, erwiderte
ich und wischte die Gläser mit bebenden Händen. „Ich weiß, warum mir die Hände
zittern. Der Feind will jetzt mit aller Macht auftrumpfen. Das höllische Licht,
was es auch war, hat mir die linke Wange verbrannt. Das ist mir nun klar, weil
auch die linke Seite der Brille verbrannt ist. Ich finde das unvorstellbar
viehisch. Solch eine unerhörte Grausamkeit hat es noch nirgends gegeben.“
„Heute wird doch sicher kein Angriff mehr
kommen.“
„Wenn der Feind bloß all die Frühstückskörbe
sehen könnte, die da herumliegen. Wenn sie bloß diese Reiskuchen sehen würden,
ich glaube, die sparten sich die Mühe, uns weiter zu bombardieren. Es ist doch
schon genug sinnlos zerstört worden. Wenn man bloß begreifen wollte, wie uns
zumute ist.“
„Aber, Herr Shizuma, wie können Sie nur so
reden?“ Ich setzte meine Brille auf. Da entdeckte ich eine Militärmütze, die in
den Dreck getrampelt war, und hob sie auf. Sie ähnelte meiner Mütze, es war
aber nicht meine. Das ist jetzt egal, dachte ich und
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