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Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Masuji Ibuse
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bemerkte den Jungen, der bei mir war,
und erklärte mir, es sei ganz unmöglich, ein Kind über die Eisenbahnbrücke zu
bringen. Fast auf der ganzen Länge der Brücke lägen die Wagen eines entgleisten
Güterzuges kreuz und quer auf den Schienen. Hunderte, ja Tausende von Flüchtlingen
hockten an diesem Ende der Brücke.
    „Warum kommen sie dann nicht hierher zurück?“
fragte ich.
    „Sie ruhen sich aus“, meinte sie, „die sind so
schwer verletzt, daß sie nicht die Kraft haben zurückzukommen. Viele sind
einfach zusammengebrochen und können nicht weiter... Aber ich bin sicher, mit
dem Kind schaffen Sie es nie über die Brücke.“
    „Hörst du das, mein Sohn“, sagte ich, meine
Stimme schwankte leicht. „Es heißt, Kinder können nicht über die Brücke. Geh
doch mit dieser Dame auf dem Bahndamm nach Kabe auf die Berge zu.“
    Er richtete seinen Blick auf mich.
    „Also, Sohnemann, verabschieden wir uns, was?“
    Er nickte. Die Frau in mittleren Jahren legte
ihm eine Hand auf den Kopf und verneigte sich vor mir. Der Junge schien jetzt
zu wissen, wohin er wollte, und ging vor den Frauen in die Richtung, aus der er
gekommen war. Seine dünnen Beinchen steckten in schwarzen Turnschuhen mit
heruntergetretenen Fersen. Er trug kurze Hosen und ein kurzärmliges Hemd, seine
Hände waren leer.
     
    Der Wolkenpilz hatte eigentlich eher die Form
einer Qualle. Doch schien er weit mehr Lebensbewegung zu haben als jede Qualle,
mit diesem in sich bebenden Bein und dem Kopf, der ständig seine Farben
wechselte, während er sich langsam nach Südosten ausdehnte, sich dabei krümmte
und wand und wütete, als wollte er jeden Augenblick auf uns herabstürzen. Er
war ein Sendbote des Teufels, denn wer sonst in der ganzen weiten Welt hätte
ein solches Monstrum heraufbeschwören wollen. Würde ich noch mit dem Leben
davonkommen? Würde meine Familie das überleben? War ich wirklich auf dem Wege
nach Hause, um ihnen beizustehen, oder wollte ich mich nur selber retten?
    Meine Beine wurden so schwach, daß ich keinen
Fuß vor den anderen setzen konnte, und ich zitterte am ganzen Leibe. Es kostete
ungeheuere Anstrengung, mich wieder in die Gewalt zu bekommen. Ich nahm einen
Stock auf, es war ein Stock, mit dem man den Reis enthülste, den es auf
Zuteilung gab — weiß der Himmel, woher es den hierher geblasen hatte und schlug
mir damit auf die Waden, den Hintern und die Schenkel. Dann schlug ich mir
Schultern und Oberarme. Danach schloß ich die Augen und atmete tief ein und
aus. Ich atmete nach der Methode, die wir bei der Morgengymnastik in der Fabrik
befolgten; sehr langsam einatmen und ausatmen, fast wie bei einer Beschwörung.
Das gab mir die Gewalt über die Beine zurück und verschaffte mir auch eine
gewisse innere Ruhe. Ich machte mich nun in östlicher Richtung an den Schienen
entlang auf den Weg. Wenn es mich auch innerlich drängte, so schnell wie
möglich zu gehen, zügelte ich doch meine Schritte, um nicht andere Flüchtlinge
zu überholen. Da dies nicht einer jener Alpträume war, in denen man von
unsichtbaren Kräften festgehalten wird, hätte ich ja auch rennen können, aber
ein Gefühl, am besten alles dem Ratschluß der Götter zu überlassen, hielt mich
zurück. Plötzlich schrie einer aus einer Gruppe Flüchtlinge, die mich gerade
überholten: „Ein Fallschirm, ein Fallschirm!“, und fing an zu rennen. Doch
schon bald lief er wieder in dem alten, leblosen Trott weiter wie vorher. Es
war zweifellos ein Fallschirm. Links vor uns schwebte ein Klumpen weißer
Wölkchen über den Bergen, und ein Stück weiter oben am Himmel trieb ein einzelner weißer Fallschirm langsam nach Norden.
    Ich ging weiter und machte mir noch verworrene
Gedanken darüber, als es mit einemmal laut dröhnte. Der Boden schwankte, und
eine Säule schwarzen Rauchs stieg im Nordwesten etwa sieben-, achthundert Meter
in den Himmel. Die Flüchtlinge auf dem Bahndamm fingen sofort alle an zu
rennen, fielen aber dann ebenso plötzlich in ihren bleiernen Schritt zurück,
den Schritt von Menschen, die körperlich und geistig völlig erschöpf! sind.
Dann gab es noch eine Detonation und noch eine. Mit einem Donnern wie bei einem
Erdbeben schossen schwarze Rauchsäulen fast dreihundert Meter in die Höhe. Bei
jeder Detonation rannten die Flüchtlinge von neuem los. Schließlich rief einer:
„Ölfässer gehen da in die Luft, Ölfässer sind das.“ Und dann schlichen sie noch
lethargischer dahin als zuvor. Es fiel kein Wort mehr.
    Als ich an die

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