Schwarzer Regen
Krieg gefunden, als es so schlecht Tabak gab. Warum hast
du mir bloß vorher nie was davon erzählt?“
„Das Nikotin ist doch sowieso längst raus,
nicht? Aber immerhin ist es Tabak, und wenn du ihn schneiden und rauchen
wolltest, wäre das ein Verstoß gegen das Tabakmonopol.“
„Prirna, Frau! Du bist genauso trocken und
ausgedörrt wie die Tabakblätter hier!“
Alles auf dem Speicherboden, wo es nach Staub
roch und eine schummrige Beleuchtung herrschte, war trocken, selbst der Schweiß
von der Flaut schien aufgesaugt zu werden. Das Holz hatten die Würmer schon so
zernagt, daß man ganz sachte auftreten mußte, wollte man nicht durch die Dielen
brechen. Shigematsu faltete den Brief auseinander und knipste die Taschenlampe
an. Die Schriftzeichen des Briefes waren mit dem Pinsel in sehr sauberer
Handschrift geschrieben, jetzt aber völlig verblaßt und hatten eine klägliche
hellbraune Farbe angenommen.
Mein Herr!
Ich bestätige dankend den Erhalt von zwei Unzen
Kemponashi-Samen, um die ich Sie anläßlich unserer Inspektionsreise nach Ihrem
Dorf Kobatake gebeten hatte. Sie wurden mir von Herrn S. Murata, dem früheren
Friedensrichter von Kobatake, in meinem Hause überreicht, als er kürzlich in
der Hauptstadt eintraf. Ich werde sie also aussäen lassen und dann sehen, ob
der sich daraus entwickelnde Baum dazu geeignet ist, die Avenuen unserer
Hauptstadt zu säumen. Zu gegebener Zeit werde ich die Behörde von dem Vorgang
in Kenntnis setzen. Ich möchte noch erwähnen, daß ich diesen Brief, wie
versprochen, mit jener „Tinte“ geschrieben habe, die gewöhnlich im Westen in
Gebrauch ist...
Der Friedensrichter von Kobatake war am Ende der
Feudalzeit nach der Restauration noch zwei Jahre für Ruhe und Ordnung im Bezirk
zuständig gewesen, bis die neue Bezirksbehörde eingerichtet wurde. 1873 hatte
er schließlich seine Sachen gepackt, um wenigstens zeitweilig nach Tokio zu
ziehen. Heute gab es von dem ehemaligen Friedensrichteramt nur noch ein
zusammengefallenes Hintertor, die Hälfte der Wohngebäude und den aus weißen
Lehmwänden errichteten Speicher. Die Grundschule stand jetzt auf dem früheren
Vorplatz des Amtes.
Herr Ichiki aus Surugadai in Tokio war bestimmt
ein Inspektor der neuen Meiji-Regierung gewesen oder hatte zum Gefolge eines
solchen Inspektors gehört, der zufällig in das Friedensrichteramt von Kobatake
gekommen war. Wahrscheinlich hat er die Bäume gesehen und sich von Shigematsus
Urgroßvater jenes Versprechen geben lassen, von dem der Brief berichtet. Es
hieß, daß bis zum Chinesisch-Japanischen Krieg fünf große Kemponashi-Bäume im
Garten vor Shigematsus Haus standen. Der Kemponashi ist ein edler Baum. Fünf
solche Bäume in einer Reihe müssen Herrn Ichiki auf die Idee gebracht haben,
sie in den Straßen Tokios anzupflanzen. Sicherlich hat er Shigematsus
Urgroßvater in das Haus kommen lassen, in dem er abgestiegen war, und ihm
befohlen, zwei Unzen von den Samenkörnern dem bisherigen Friedensrichter
mitzugeben, wenn er nach Tokio reisen sollte. Huldvoll dürfte er ihn dann
aufgefordert haben, sich dafür eine Gegenleistung zu wünschen. Na, und der
Urgroßvater wird erwidert haben — ob er sich den Vorschlag gestatten dürfte
(nein wirklich, eine solche Ehre), daß Seine Gnaden ihm einen Brief mit dieser
Tinte schrieben, von der er soviel gehört habe? Wie muß der Urgroßvater über
das neumodische Gerede von den „Avenuen Tokios“ und dergleichen gestaunt haben.
Kein Wunder, daß ihm dieser Brief wie eine Kostbarkeit vorgekommen war...
Shigematsu entschloß sich, sein „Tagebuch von
der Bombe“ noch einmal abzuschreiben und dazu Pinsel und Tusche zu benutzen. Er
würde Shigeko den schon mit dem Füllfederhalter geschriebenen Teil übertragen
lassen und dann selbst den Rest mit dem Pinsel auf japanisches Schreibpapier
malen.
Wie durstig er doch damals gewesen war. Er hätte
sonst etwas für einen Schluck Wasser gegeben. Doch aus dem Wasserhahn am
Straßenrand war nur kochend heißes Wasser herausgekommen, viel zu heiß, um es
direkt zu trinken, auch noch zu heiß, um es mit den Händen zu schöpfen... Den
Kopf voll solcher Erinnerungen, nahm er den Pinsel zur Hand und machte sich ans
Werk.
Vom Hauptschrein des Yokogawa-Tempels, der auf
der Ostseite des Bahnhofs lag, standen nur noch ein paar kahle Pfosten. Die
Gebetshalle davor war verschwunden, lediglich das Lehmfundament ragte als
kahler, häßlicher Buckel hervor.
Eine Art Staub oder Asche bedeckte die
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