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Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Masuji Ibuse
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Köpfe und
Schultern der Leute, die sich auf der Straße am Tempelbezirk aufhielten. Es gab
nicht einen unter ihnen, der nicht blutete. Sie bluteten am Kopf, im Gesicht,
an den Händen, und manche, die nackt herumliefen, hatten blutende Wunden auf
der Brust, auf dem Rücken oder an den Schenkeln. Sie bluteten, wo es nur möglich
war. Eine Frau hatte so geschwollene Wangen, daß sie auf jeder Seite wie
schwere Beutel herabhingen, sie wandelte wie ein Geist umher, mit
ausgestreckten Armen und kraftlos baumelnden Händen. Ein Mann schleppte sich
splitternackt die Straße entlang, wobei er den Körper nach vorn beugte und die
Hände zwischen die Schenkel legte, als wollte er in den großen Zuber eines
öffentlichen Badehauses steigen. Eine Frau in Schlüpfern lief mühsam die Straße
hinunter und stöhnte. Eine andere Frau mit einem Säugling im Arm rief: „Wasser!
Wasser!“ und wischte dem Kind unablässig die Augen aus. Seine Augen waren mit
einer ascheartigen Substanz verklebt. Ein Mann brüllte, so laut er konnte;
Frauen und Kinder schrien, während sie liefen; andere schrien, um dadurch ihre
Schmerzen zu lindern. Ein Mann brach auf der Straße zusammen, reckte die Arme
zum Himmel und fuchtelte wie besessen herum. Eine ältere Frau saß tief in
Andacht versunken mit geschlossenen Augen und zum Gebet aneinandergelegten
Händen neben einem Haufen Ziegel, die von einem Dach gerutscht waren. Da kam
ein halbnackter Mann schwerfällig dahergelaufen, rempelte sie an, fluchte
unflätig und rannte weiter. Ein Mann in weißen Hosen kroch auf allen vieren
immer ruckweise vorwärts und weinte dabei laut vor sich hin... All das sah ich
auf einer Strecke von weniger als zweihundert Metern, als ich vom Bahnhof
Yokogawa die Hauptstraße zum Mitaki-Park entlangging.
    Die Straße wimmelte von Menschen wie zu
Hauptverkehrszeiten der Bahnhofsplatz, und ich ließ mich einfach in dieselbe
Richtung treiben wie die Menge. Durch den Lärm ringsum hörte ich plötzlich eine
schrille Stimme meinen Namen rufen: „Herr Shizuma! Herr Shizuma!“
    „Wo? Wo sind Sie?“ rief ich zurück und bahnte
mir einen Weg in Richtung der Stimme, als auch schon jemand meinen Arm ergriff
und sich mir an die Brust warf.
    „Ach, Herr Shizuma! Bin ich froh, Sie hier zu
treffen!“ Ich weiß nicht, wie sie sich zu mir durchgeschlagen hatte. Es war die
Besitzerin der Takahashi-Wollkämmerei. Sie legte mir die Arme um die Hüften und
lehnte den Kopf an meine Brust, wobei sie am ganzen Leibe zitterte. Ich zog sie
von der Straße aus dem allgemeinen Tumult heraus zwischen zwei eingestürzte
Häuser.
    „Was kann bloß passiert sein, Herr Shizuma? So
was Entsetzliches!“ Ihr Gesicht war aschfahl, und sie zitterte unaufhörlich.
    „Wir sind bombardiert worden, was sonst.“
    „Wo wird die Bombe eingeschlagen sein?“
    „Wer weiß. Aber es war eine Bombe — das ist
klar.“
    „Herr Shizuma! Sie haben sich ja Ihr Gesicht
verletzt! Die Haut pellt sich ab und ist ganz komisch verfärbt. Das muß weh tun
— jedenfalls sieht es so aus.“
    Ich tastete mit den Händen mein Gesicht ab. Die
linke Hand wurde feucht und klebrig. Als ich die Handfläche betrachtete,
klebten kleine bläulich purpurfarbene Fusseln wie von feuchtem Papier daran.
Ich fuhr mir noch einmal über die Wange, und wieder hatte ich etwas von dieser
klebrigen Masse an der Hand.
    Das war sehr merkwürdig; ich konnte mich gar
nicht erinnern, mit dem Gesicht irgendwo aufgeschlagen zu sein. Es mußte Asche
oder Staub oder etwas Ähnliches sein, was sich wie winzige Röllchen
abgestorbener Haut abreiben ließ. Ich wollte wieder danach tasten, als Frau
Takahashi mich am Handgelenk packte: „Nein, Sie dürfen nicht reiben. Lassen Sie
es, bis Sie es verbinden können. Wenn Sie daran herumfingern, kommen durch Ihre
Hand nur Bakterien hinein!“ Es tat eigentlich nicht besonders weh, und doch
lief mir ein gelinder Schauer den Rücken hinunter. An meiner linken Wange
schienen zahllose winzige Partikel zu hängen. Ich bewegte die Haut, indem ich
den Mund weit öffnete und wieder schloß, und das Gefühl, daß da etwas klebte,
wurde stärker. Frau Takahashi wollte meine Hand gar nicht loslassen, so fuhr
ich flüchtig mit der rechten Hand über die linke Wange. Wieder hafteten die
kleinen Fetzen an der Handfläche, ich rieb sie zwischen den Händen hin und her,
sie waren wie Krümel, die sich von einem Radiergummi lösen, fühlten sich aber
glitschiger an. Mir wurde ganz kalt, der Aufruhr um mich her schien in

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