Schwarzer Regen
ausgestreckten Arme drohten einzuknicken.
Ich lag mit dem Oberkörper auf dem Eimerrand, konzentrierte alle Kraft auf die
Beine und stand auf. Ein nasses Tuch hing mir auf der Brust. Es war das
Dreiecktuch. Ohne daß ich es gemerkt hatte, war es vom Kopf geglitten und zum
Halstuch geworden. Sowie ich ein paar Schritte machte, brach mir der Schweiß
aus allen Poren, von Kopf bis Fuß war ich wie gebadet. Meine Brille beschlug
andauernd. Immer wieder mußte ich stehenbleiben und sie putzen oder auch beim
Gehen abwischen.
Als ich am Haupttor des Heeresbekleidungsamtes
anlangte, hatte sich die Quallenwolke so aufgebläht, daß sie fünf- bis sechsmal
größer geworden war, seit ich sie von Yokogawa aus zuerst gesehen hatte. Doch
bestand sie jetzt nur noch aus einer an den Rändern ausgefransten blassen
Nebelmasse. So schreckenerregend sie anfangs auch aussah, war sie jetzt nicht
mehr als ein Schatten ihrer selbst und schien ihre gefährliche Kraft eingebüßt
zu haben. Während ich noch die Wolke betrachtete, kamen Stimmen aus dem
Heeresbekleidungsamt: „He, wie lange dauert es noch? Haben Sie den Chef der
Verteidigungsgruppe erreicht?“
„Jawohl, ich war deshalb unterwegs.“
Zwei oder drei Leute schienen drin geschäftig
hin- und herzugehen. Ich fühlte mich beträchtlich sicherer. Das Feuer machte
mir ziemliche Sorgen. Ich wußte nicht, wo es überall brannte und auf welche
Viertel das Feuer Übergriff. Ich wußte nicht, was mit meinem eigenen Haus
passiert war. Wenn Senda-machi auch in Flammen stand, sollte sich meine Frau
auf den Sportplatz der Universität flüchten. Wir hatten das für den Notfall
schon seit langem ausgemacht. Um Yasuko brauchte man keine Angst zu haben, weil
sie mit den Frauen von der Nachbarschaftsvereinigung nach Furue gefahren war.
Beim Weitergehen sah ich mich nach einem
Fleckchen um, wo ich mich ein wenig ausruhen konnte. Da hörte ich eine Katze
miauen und drehte mich um. Eine schwarzgelb gefleckte Katze lief neben einem
Mann in Stiefeln. „He, Mieze!“ sagte ich halblaut. Die Katze wäre wohl an mir
vorbeigelaufen, ohne mich im mindesten zu beachten,
aber der Mann in Stiefeln blieb stehen, woraufhin auch die Katze anhielt und
sich an die Stiefel schmiegte. Der Mann rief aus: „Wenn das nicht Herr Shizuma
ist! Wirklich!“
„Nein, so was, das ist doch wahrhaftig Herr
Miyaji!“ Der Zufall war geradezu unglaublich, aber zweifellos stand hier Miyaji
aus unserer Nachbarschaftsvereinigung vor mir. Seit etwa zwei Monaten ging er
immer in diesen Armeestiefeln umher und trug trotz der Hitze ein khakifarbenes
Polohemd. So bekleidet, suchte er Firmen und Regierungsämter auf, um Aufträge
für sein Geschäft entgegenzunehmen. Auch heute hatte er wie üblich die
Stiefelhosen von der Armee an, aber der Oberkörper war nackt, und er hatte
keinen Hut.
„Wie geht es Ihnen? Sie sind doch nicht
verwundet?“ fragte ich.
„Schrecklich! Mich hat’s furchtbar erwischt!“ Er
drehte sich um. Die Haut hatte sich von den Schultern gelöst und hing schlaff
herab, wie ein Stück nasses Zeitungspapier. Die Haut auf seinen Handrücken
pellte sich auch ab und sah genauso aus. Sein Gesicht war aschfahl, aber ohne
Brandwunden.
Ich dachte, er wäre in ein Feuer geraten und die
Flammen hätten ihm den Rücken versengt, das stimmte aber nicht. Früh am Morgen
hatte er einen Bekannten besuchen wollen, der in Hiroshima ganz in der Nähe des
Schloßturmes wohnte. Er war gerade dabei, sein Polohemd auszuziehen, bevor er
hineinging. (Ich vermute, er wollte da eine besondere Bekannte besuchen; es gab
immer Gerüchte, er hielte sich irgendwo eine Frau.) Er hatte sich sehr
gesputet, erzählte er mir, und war vollkommen schweißgebadet. Aber gerade als
er sich das Hemd über den Kopf zog, gab es ein entsetzliches Krachen und einen
Blitz. Kopf und Gesicht steckten in dem Hemd, aber er spürte die Grelle des
Blitzes selbst durch den Stoff und die geschlossenen Augenlider. Er wußte
nicht, was danach geschah. Er erinnerte sich nur, daß er auf den inneren
Schloßgraben zurannte. „Ich wußte gar nicht, was ich wollte, und es war mir
auch gleich“, berichtete er, während er neben mir hin und her schwankte. „Ich
hatte nur den Wunsch, zu laufen, auf die Berge zu zu laufen. Ich ging über die
Yokogawa-Brücke und dann am Hauptquartier der Zweiten Armee vorbei. Von da an
kam mir die Katze immer hinterher. Ob das Glück oder Unglück bedeutet? Wer
weiß?“ Das Hauptquartier der Zweiten Armee befand sich an der
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