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Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Masuji Ibuse
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Nordseite des
Ost-Exerzierplatzes. Dann hatte also Miyaji von Yokogawa her denselben Weg wie
ich zurückgelegt.
    Wir gingen vom Heeresbekleidungsamt auf das
Bezirksmonopolamt zu. Das war einmal eine wohlhabende Wohngegend — jetzt nur
ein Trümmerfeld. Zerrissene Telefondrähte hingen in großen Schlingen herunter,
die Straße lag voller Dachziegel, Schiebetüren und sonstiger Trümmer. Die Katze
lief bald vor Miyaji, bald hinter ihm. Er war in einem erbärmlichen Zustand und
schien jeden Augenblick zusammenzubrechen. Er wußte kaum, was er tat. Ich
fühlte mich entsetzlich zur Eile angetrieben. Daher hob ich einen Bambusstab
auf, damit er ihn als Stock benutzen konnte, warf ihn dann aber wieder weg; es
wäre eine Zumutung gewesen, mit seinen aufgerissenen Händen. Es blieb nichts
weiter übrig, als sich langsam einen Weg zu bahnen, wobei wir auf Ziegel
traten, Türrahmen und Schiebewände beiseite schoben, unter umherbaumelnden
Kabeln hindurchkrochen. Die Ziegel knirschten und brachen unter unseren Füßen.
Wir glitten darauf aus und fielen nach vorn. Wir suchten uns beim Fallen mit
den Händen abzufangen, aber wieder aufzustehen war jedesmal schlimm. Weit und
breit sah man keine Menschenseele. Das Knacken der Ziegel unter unserem Tritt
klang widernatürlich laut in der Stille. Ich bemerkte eine große Kommode, die
umgekippt auf einer Ziegelwoge lag. Eine junge Frau, nur mit ihrem Lendentuch
bekleidet, lehnte sich dagegen, die Beine von sich gestreckt, eine ihrer Brüste
war abgerissen. Sie war wohl schon tot.
    Die Katze, fiel mir ein, wurde wahrscheinlich
vom Geruch der Stiefel angezogen. Sie folgte Miyaji wie ein Schatten und war
auch noch bei ihm, als wir auf die breite Straße kamen, durch die die
Straßenbahn nach Ujina fuhr. Die Straßenbahnen standen alle still, und die
Straßen hatten hier wieder ein völlig anderes Aussehen. Lastwagen, mit
Verwundeten beladen, fuhren unaufhörlich vorüber. Auf einem Wagen lagen nur
Armeeoffiziere. Ein Handwagen wurde vorbeigezogen; Verwundete zogen Verwundete.
Die vielen Verletzten, die zu Fuß gingen, waren etwa im selben Zustand wie die
Flüchtlinge, die ich auf der Bahnböschung und auf dem Exerzierplatz gesehen
hatte, nur benutzten hier viele Holz- und Bambusstäbe als Krückstock. Nur
wenige riefen nach Hilfe oder schrien vor Schmerz, und kaum einer rannte. Warum
auch rennen, wenn das nur hieß, ins Reich der Schatten zu eilen. Unter den
Flüchtenden sah ich einen Krüppel in einem Rollstuhl. Er bewegte sein Gefährt
mit den Händen vorwärts und zog mit fast verächtlichem Gleichmut an den Verwundeten
vorbei.
    Miyaji tastete sich mit den Händen an der Mauer
des Steueramts entlang, als würde er jeden Augenblick zusammenbrechen. Am Ende
der Mauer stöhnte er: „Wasser, Wasser!“, stolperte auf die Straße und blieb an
einer der verlassenen Straßenbahnen stehen. Ich fühlte mich auch einer Ohnmacht
nahe, folgte ihm aber zur Straßenbahn und kroch halb auf die Plattform. Miyaji
hockte auf dem Trittbrett. Im Wagen saßen in der Ecke einer Sitzbank ein
hübscher kleiner Junge, kaum alt genug, um laufen zu können, ein Mädchen von
sieben oder acht und ein Junge, anscheinend ein Schüler der Unterstufe, der
einen Tischtennisschläger in der Hand hielt. Ich legte ein Dreiecktuch aus
meinem Verbandspäckchen über das rohe Fleisch auf Miyajis Schultern und knotete
zwei Zipfel um seinen Hals. Es sah aus wie ein weißer Schal.
    „Herr Miyaji, ich habe wenigstens Mentholsalbe.
Was meinen Sie, ob ich Ihnen das auflege?“
    Er schüttelte den Kopf. „Aber einen Schluck
Wasser hätte ich gern“, erwiderte er. Er zeigte zum Himmel. „Da sehen Sie, wie
das brennt.“
    Eine gewaltige Flammensäule schoß irgendwo aus
dem Stadtzentrum hoch in den Himmel empor. Diese riesige Säule sog Rauch und
Flammen auf, die aus den Brandherden der Umgebung loderten, vereinigte sie zu
einem einzigen großen Strudel und breitete darüber den Qualm wie eine
Wolkenbank aus. Um die sich windende Flammensäule, die diese Wolke durchbohrte,
waren gleichsam kleine Feuerbrocken verstreut und Figuren, auf denen Flämmchen
tanzten. Ich erkannte sie als Pfosten und Balken und sonstige Holzteile von
Häusern. Sie waren in den Sog hineingerissen worden und stürzten nun brennend
herab. Obwohl der Wind sich nicht zu drehen schien, entstand der Eindruck, als
kröchen die Flammen in immer neuen Anläufen über die Dächer der Gebäude; bald dehnte
sich das Feuer aus wie ein Riesentau, aus Flammen gedreht,

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