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Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Masuji Ibuse
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zurückbrachte, würden die Frauenzimmer wissen wollen,
warum, und Yasuko sollte doch nicht erfahren, daß eine Frau aus Yamano extra
gekommen war, um sich nach ihr zu erkundigen. Der Stein, auf dem er saß, war so
groß wie zwei Tatami-Matten. Früher hatte hier eine riesige Fichte gestanden,
an die fünfzig Meter hoch, aber sie war im Krieg als Volksspende gefällt worden
wie der Gingkobaum auf Kotaros Grundstück, der auch so groß gewesen sein soll.
Wenn im Spätherbst oder Winter die Morgensonne schien, dann reichten die
Schatten, die Fichte und Gingko warfen, bis zum Fuß des Hügels, auf dem Shigematsus
Haus stand.
    Als Junge hatte Shigematsu selten bei dem
flachen Stein gespielt, aber oft unter Kotaros Gingkobaum. Wenn die Fröste
kamen und der Gingko seine Blätter abwarf, wurde das Dach von Kotaros Haus
unter abgestorbenen gelben Blättern begraben. Sobald sich eine Brise regte,
ergossen sie sich von den Dachtraufen wie ein gelber Wasserfall, und war es
böig, wirbelten sie in die Luft, hoch, immer höher hinauf, zwei- und dreimal so
hoch wie das Dach, und dann sanken sie herab in gelben Strudeln und trieben
kreiselnd die Straße entlang, den Hang hinauf in den Eichenhain. Das machte den
Kindern immer einen Riesenspaß. Wenn der Wind nachließ und die Blätter
herabgetanzt kamen, streckten die Jungen die Hände aus und griffen nach ihnen,
und die Mädchen suchten sie in ihren Schürzen zu fangen. Dann wurden die
Blätter gezählt, die sie erhascht hatten. „Erst eins für mich, dann zwei für
mich, und noch eins für dich selber, Gingko gelber!“ sangen sie dabei und
warfen jedesmal ein Blatt weg, das waren dann vier Blätter. „Flitter, flatter,
Gingko Gevatter!“ — das waren noch mal vier. Und immer wieder sangen sie den
Vers, bis nur noch ein Kind Blätter hatte und Sieger wurde. Onkel Ruigoro kam
dann oft mit dem Besen aus dem Haus, um den bergauf führenden Weg zu fegen, da
er immer fürchtete, die Kinder könnten auf den dicken Lagen aus Gingkoblättern
am Hang ausrutschen. Der alte Mann hatte in jenen Tagen auch noch als
Briefträger für das Postamt in Kobatake gearbeitet. Mehr als zwanzig Jahre
hindurch war er Tag für Tag bei Regen und Sonne mit dem Postsack auf dem Rücken
zwischen den Postämtern von Kobatake und Takafuta hin- und hergegangen. Er
hatte für seine Dienste sogar eine Auszeichnung vom Minister für Postwesen
erhalten. Er trug einen runden Strohhut und eine lose dunkelblaue
Baumwolljacke, auf deren Kragen in weiß die Worte „Postamt Kobatake“ gestickt
waren. Die Beine waren mit Gamaschen umwickelt, und die Füße steckten in
Strohsandalen. Die Tasche mit der Post baumelte an einem Stock über seiner
Schulter. Wenn spielende Kinder die Straße versperrten oder ein Handwagen oder
ein Pferdefuhrwerk im Wege waren, dann schaffte er sich Platz, indem er rief:
„Bahn frei für die Post! Hier kommt die Post! Amtsgeschäfte! Platz da, Platz
da!“ Die Kinder stellten sich dann an den Straßenrand und riefen im Chor hinter
ihm her: „Bahn frei für die Post! Hier kommt die Post! Amtsgeschäfte! Huff,
puff, huff, puff, huff...“
    Eine Autotür schlug zu, der Motor sprang an. Die
Sonne wollte gerade untergehen. Shigematsu verließ den Hain und schlenderte zu
Kotaros Haus hinüber. Die Schiebetüren der Veranda waren noch geschlossen, aber
die Türen am Hauseingang standen offen. Er trat ein und fand Kotaro auf der
Treppenstufe im Vorraum sitzen. Er hatte die Arme untergeschlagen und starrte
auf den Fußboden. Er mußte dort unbeweglich gesessen haben, seit er seinen
Besuch hinausgeleitet hatte.
    „Guten Abend“, sagte Shigematsu.
    Kotaro blickte auf, als habe er sich erschreckt.
    „A-ach, guten Abend“, erwiderte er den Gruß, sah
aber sofort wieder zu Boden. Er schien beschämt zu sein, soviel konnte
Shigematsu trotz des Dämmerlichts im Vorraum gerade noch erkennen.
Offensichtlich war Kotaro gedrängt worden, alle möglichen Fragen über Yasuko zu
beantworten, sogar manches gegen seinen Willen zu sagen, und fühlte sich nun
niedergeschlagen und erschöpft. Da Shigematsu spürte, wie die Dinge standen,
dankte er Kotaro für die Schmerlen, die er ihnen gebracht hatte, ließ ihn die
Reiskuchen in eine Schale legen und ging ohne weiteren Aufenthalt wieder nach Hause.
    Der Vorfall hinterließ einen bitteren Geschmack
auf seiner Zunge. Er fühlte ein unerträgliches Mitleid mit Yasuko, die auf
diese Weise in aller Öffentlichkeit bloßgestellt wurde. Er konnte nur eins tun,
er

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