Schwarzer Regen
hätte es nicht als Knall beschrieben, sondern eindeutig als
Donnergrollen. Das Zentrum der Explosion muß im Gebiet der Choji-Brücke gewesen
sein. Die Menschen im Umkreis von zwei Kilometern hatten keinerlei Krachen
gehört. Selbst die, die fünf Kilometer weit entfernt waren, erklärten
übereinstimmend, daß sie wenige Sekunden nach dem Aufblitzen ein Grollen gehört
hätten. Gleichzeitig wären Fensterscheiben herausgeflogen und Gebäude
zusammengestürzt. Ich nahm an, der Zug hätte an die zwei Stunden gestanden,
aber als ich einen Nachbarn, der eine Uhr besaß, fragte, erfuhr ich, daß kaum
mehr als dreißig Minuten vergangen waren. Es konnte auch tatsächlich nicht
soviel Zeit verstrichen sein, wie ich mir einbildete, da ich inzwischen keine
neuen Anzeichen von Durchfall gehabt hatte. Ich blieb dann auch den ganzen Weg
über davon verschont, bis wir endlich die Fabrik erreichten.
In den Furuichi-Werken kamen der Geschäftsführer
und der Vorarbeiter persönlich in den Besucherraum, um sich davon zu
überzeugen, daß wir gesund angelangt waren. Es wurden viele Tränen vergossen.
Ein Mädchen aus dem Büro holte Wasser vom Brunnen für uns und brachte es in Waschschüsseln
und in einem Eimer herbei. Ein Pförtner besorgte mir einen sauberen Anzug. Ich
wrang ein Handtuch aus und rieb mich am ganzen Körper ab, aber ich konnte das
Wasser in der Waschschüssel wechseln, sooft ich wollte, es wurde immer wieder
schwarz, deshalb gab ich es nach einer Weile auf und zog mir frische Sachen an.
Shigeko und Yasuko verschwanden in der Küche. Ich ging ins Büro und berichtete
dem Geschäftsführer über die Zerstörungen in Hiroshima und machte dann, obwohl
die Sonne schon untergegangen war, einen Rundgang durch die Fabrik. Fast alle
Fenster waren kaputt, und Glasscherben lagen überall herum, aber das Gebäude
selbst und die Spinn- und Webmaschinen standen noch unversehrt. Die Räume mit
den Baumwollschwing- und Entkörnungsmaschinen hatten sich nicht verändert bis
auf die fehlenden Fensterscheiben. Die Küche hing nicht so voller Dampf wie
sonst, weil er durch das Loch des Ventilators, den es herausgeschleudert hatte,
abzog. Ich fragte die Köchin, ob es größeren Schaden gegeben hätte. Ein Stapel
großer Teller, der auf einem Regal stand, wäre runtergefallen und zerbrochen,
sagte sie, weiter nichts. Vorm Schlafsaal der Arbeiter in einer Ecke des
Korridors sah ich einen Haufen Glasscherben, den man dort zusammengefegt und
mit einer Zeitung bedeckt hatte. Einige Arbeiterinnen räumten ihre Sachen aus
den Schränken und packten sie zusammen. Der Aufseher teilte mir mit, daß die
Leitung den Arbeitern, die aus der Stadt gekommen waren, freigebe, damit
wenigstens die nur leicht Verletzten nach Hause aufs Land fahren konnten. Die
Leiter der verschiedenen Abteilungen, die sonst im Werk blieben, waren alle aus
Sorge um ihre Angehörigen nach Hiroshima gegangen, und nur der Geschäftsführer
und der Vorarbeiter sowie einige Hilfsarbeiter und Pförtner hielten noch im
Werk aus. Die Produktion konnte man unter solchen Bedingungen unmöglich
aufrechterhalten. Außerdem hatten offensichtlich alle, mich eingeschlossen,
Angst vor dem nächsten Luftangriff.
Neuntes Kapitel
Der 30. Juni war der Tag des Sumiyoshi-Festes im
Hafen von Onomichi. Im Dorf Kobatake wurden anläßlich dieses Festes auf dem
Fluß Laternen ausgesetzt, um die Aufmerksamkeit des Gottes vom Sumiyoshi auf
sich zu lenken und seinen Schutz vor Überschwemmungen zu erbitten. In vier
kleine Schiffchen aus einfachem ungelacktem Holz, die die vier Jahreszeiten
symbolisierten, wurden brennende Kerzen gestellt, dann setzte man sie an
ruhigen Stellen des Bergbachs ins Wasser. Je länger sie sich auf der dunklen
Oberfläche hielten, desto günstiger stand es um die Deutung. Wenn es das
Herbst-Schiffchen zum Beispiel sofort aus der ruhigen Ecke trug, konnte man im
Herbst mit Überschwemmungen rechnen.
An jenem Tag, Shigematsu machte gerade Feuer im
Bad, brachte der Briefträger einen Eilbrief für Yasuko. Yasuko hielt sich in Shinichi
auf, um einiges einzukaufen. Der Absender war Gentaro Aono aus dem Dorf Yamano,
der junge Mann, der Yasuko den Heiratsantrag gemacht hatte. Zum erstenmal
wandte er sich ohne einen Vermittler direkt an Yasuko. Die Handschrift auf dem
Umschlag sah ungewöhnlich akkurat aus. Kein schlechtes Zeichen, dachte
Shigematsu. „Leg bitte diesen Brief auf Yasukos Tisch!“ sagte er zu Shigeko und
reichte ihn ihr. „Ich weiß nicht, worum es
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