Schwarzer Regen
geht, aber schon die Tatsache, daß
der junge Mann geschrieben hat, zeigt sein Interesse. Wenn bloß alles so
weiterginge...“.Er gab den Gedanken ans Bad auf und ging in sein Zimmer. Er
mußte mit dem Übertragen des „Tagebuchs von der Bombe“ rasch zu Ende kommen.
Den ganzen Abend arbeitete er daran und ging nicht einmal zum Laternenfest.
7. August. Schönes Wetter.
Als ich aufwachte, wehte der Morgennebel durch
das zerbrochene Fenster herein und strich mir über das Gesicht. Es war dichter
Nebel, und da ich ihn gleichermaßen auf beiden Wangen spürte, schloß ich, daß
auch die linke, verbrannte Seite das Gefühl wiedergewonnen hatte. Meine Frau
und Yasuko hatten sich schon erhoben, ihre Betten waren leer. Ein Stimmengewirr
drang zu mir durch den Nebel.
„He, Sie mit dem Lastwagen“, sagte eine laute
Stimme, „bei Ihnen haben doch noch ein oder zwei Platz!“
„Was trödelt ihr noch rum“, meinte ein anderer.
„Ist schon halb sechs.“
Während ich schlief, waren offensichtlich noch
mehr Verwundete aus Hiroshima angekommen. Der Geschäftsführer hatte gestern abend festgelegt: Angestellte, die nur leicht verwundet
sind, werden nach Hause geschickt. Mit ihrem Abtransport sollte heute früh vor
fünf begonnen werden; zu diesem Zweck standen zwei Lastwagen zur Verfügung. Die
LKWs sollten die Flüchtlinge und ihre Habseligkeiten zum Bahnhof Furuichi
bringen und auf dem Rückweg schwerverwundete Angestellte der Firma mitnehmen,
die möglicherweise auf dem Bahnhof warteten oder auch an der Straße lagen.
Ich versuchte, mich im Bett aufzusetzen, aber
ein rasender Schmerz schoß mir durch Schultern und Rücken bis in die Beine.
Nicht mal aus der gestrigen Überanstrengung ließ sich dieser völlig
andersartige Schmerz erklären. Es war eine Qual, sich auf die Seite zu drehen,
doch mir kam eine gute Idee. Mit der rechten Hand packte ich hinten meine Hose,
um beim Auf-die-Seite-Drehen nachzuhelfen. Dann krümmte ich meinen Körper,
brachte das Gesäß hoch, kam schließlich auf die Knie und richtete nach und nach
den Oberkörper auf. Bei einem Hexenschuß macht man es auch so. Mit dem
Ellenbogen stützt man sich aufs Bett, und mit der anderen Hand sucht man sich
hochzustemmen. Dabei nimmt der Ellenbogen eine Stellung ein wie bei einem
Tänzer, der sich im klassischen japanischen Tanz vom Boden erhebt. Ich fragte
mich, ob vielleicht der Schöpfer des japanischen Tanzes an Hexenschuß gelitten
hat.
Nachdem es mir irgendwie gelungen war, halbwegs
hochzukommen, hielt ich mich mit einer Hand am Fensterrahmen fest, preßte die
andere gegen den Rücken und stand schließlich aufrecht. Als sich das
Körpergewicht auf die Beine verlagerte, spürte ich stechende Schmerzen in den
Zehen. Bei jeder Bewegung hatte ich das Gefühl, auf Nadeln zu treten, und
konnte mich kaum halten. Ich klammerte mich am Fenster fest und schwankte so
lange hin und her, bis meine Muskeln an diese Übung gewöhnt waren. Schließlich
konnte ich dann auch gehen. Glücklicherweise hatte ich Hose und Hemd im Bett
anbehalten; unkonventionelle Schlafgewohnheiten haben eben doch ihre Vorteile.
Dann bekam ich heftige Leibschmerzen. Ich kroch die Treppe auf allen vieren
hinunter, die Füße voran. Diese Fortbewegungsmethode ist günstig, weil sich das
Körpergewicht, wie schon jedes Kind weiß, dabei auf Beine und Arme verteilt.
Nach einem Gang zur Toilette war ich das
Bauchgrimmen los. Auch die Schmerzen in Schultern und Rücken nahmen merklich
ab, aber das Stechen in den Zehen ließ mich bei jedem Schritt fast in die Luft
gehen. Als ich zum Fabriktor kam, stellte ich fest, daß es mit dem Abtransport
gut voranging; nur ungefähr zwanzig Personen waren noch von dem ersten Schub
übrig. Sie warteten auf die Rückkehr des Lastautos, das sie abholen sollte,
ihre Rucksäcke und ihr sonstiges Gepäck hatten sie an der Steintreppe
gestapelt. Einer von ihnen schrie auf einmal los: „Ich hab’s gesehen! Ich hab’s
zuerst gesehen!“, stürzte auf den Hof und hob etwas auf, das wie ein Stück Papier
aussah, das vom Himmel geflattert kam. „Was hast du da?“ fragte jemand. „Sieht
wie ‘n Fünf- oder Zehnyenschein aus.“ Aber es war doch nur ein Fetzen Papier,
der Rest von einem angebrannten Notenblatt. Es mußte aus irgendeinem Haus stammen
— vielleicht auch aus dem Lehrerzimmer einer Volksschule — , bei dem gestrigen Angriff durch den Luftdruck in den Himmel getragen, hatte es
einen ganzen Tag und eine Nacht lang in der Leere geschwebt,
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