Schwarzer Regen
von Soldaten lag. Bei dieser Auskunft kam dem Leiter der
Abteilung für Verteidigung zum erstenmal der Gedanke, daß es mehr als ein
üblicher Angriff gewesen sein mußte.“
Mit anderen Worten, der Mann in dem weißen Hemd
muß falsch informiert gewesen sein. Der Verfasser des Buches ist übrigens
später an der Strahlenkrankheit gestorben.)
Das Mißfallen des Mannes im Leinenhemd schien
sich nicht nur auf die Bürokratie, sondern auch auf das Militär zu beziehen.
„Erst vor ein paar Tagen“, sagte er, „hab ich eine Episode erlebt, die
bezeichnend für das Verhältnis von Militär und Zivilbevölkerung ist.“ In einem
Zug, mit dem er zwei oder drei Tage zuvor aus Yamaguchi nach Hiroshima
zurückgefahren war, hatte ein Armeeleutnant die Stiefel ausgezogen und sich auf
einer Bank ausgebreitet — und dabei war der Zug brechend voll gewesen. Sein
Verhalten war eindeutig eine Unverschämtheit, aber niemand wagte es, sich mit
ihm anzulegen. Selbst der Schaffner, der die Fahrkarten kontrollierte, tat, als
hätte er nichts gesehen. Nach einiger Zeit, der Zug fuhr gerade in Tokuyama
ein, ließ einer der Fahrgäste einen halben Reiskuchen in jeden Stiefel des
Offiziers gleiten und stieg dann mit dem harmlosesten Gesicht der Welt aus.
Daraufhin schüttelte ein anderer Fahrgast sorgfältig jeden Stiefel, um
sicherzugehen, daß der Reis sich auch bis in die Spitzen verteilte, und stieg
dann ebenfalls aus. Natürlich hatte er die Stiefel deshalb geschüttelt, damit
ein so großes Opfer — man bedenke die Lebensmittelknappheit — auch den
bestmöglichen Erfolg zeitigte. Der Leutnant schlief weiter. Die Fahrgäste, die
neben ihm standen und sehr wohl gesehen hatten, was vor sich gegangen war,
betrachteten grinsend die schlafende Gestalt, obwohl einige von ihnen in andere
Wagen verschwanden, aus Angst, in die Geschichte verwickelt zu werden. Der
Offizier wurde in Otake wach und stand kurz danach auf, als der Zug in Hiroshima
einlief, zog die Stiefel an, setzte die Schirmmütze auf und warf sich in die
Brust. Mit einemmal veränderte sich sein Gesichtsausdruck, als wäre etwas
Merkwürdiges geschehen. Hastig zog er die Stiefel wieder aus, sah die
Reiskörner an seinen Socken und brüllte los...
Als der Mann in dem Leinenhemd merkte, daß die
Frau ihn mit dem Ellenbogen anstieß, brach er ab. Aber er schien sich bemüßigt
zu fühlen, die Sache würdig zu Ende zu bringen, und wendete sich an eine Frau,
anscheinend eine Ladenbesitzerin, die neben ihm saß. „Entschuldigen Sie,
bitte“, sagte er, „wie weit fahren Sie?“ Die Frau nickte voller Resignation und
erklärte, sie habe kein Ziel. Ihr Mann, ein Arbeiter, war im Krieg gefallen und
sein jüngerer Bruder auch. Ihr eigener jüngerer Bruder kämpfte an der Front,
und so hatte sie niemanden, zu dem sie gehen konnte. Ihr einziges Kind, ein
Junge von acht Jahren, war heute morgen, als die Bombe fiel, von einer
Trittleiter gefegt und getötet worden. Sie hatte in einem der armseligen
Häuschen gewohnt, die in einer Reihe an der Lehmmauer eines Restaurants
standen. Die Zweige eines Granatapfelbaums vom Hof des Restaurants, die bei
ihnen über die Mauer hingen, trugen in diesem Jahr fünf oder sechs Früchte. Der
Junge hatte sie gerade besucht, er war auf dem Lande evakuiert, und bevor er
wieder abfuhr, hatte er eine Trittleiter von seinem Vater unter die Zweige des
Baumes getragen. Sie hatte ihm 2ugesehen und sich gefragt, was er wollte. Er
war auf die Leiter gestiegen und hatte nacheinander jede Frucht geküßt und ihr
zugeflüstert: „Fall nicht runter, Granatapfel, bis ich wiederkomme!“ Dann aber
war ein Feuerball am Himmel aufgeflammt, gefolgt von einem lauten Krachen. Die
Mauer stürzte zusammen, die Trittleiter kippte um, und das Kind war sofort tot;
ein Ziegel oder ein Lehmbrocken von der Mauer hatte es getroffen. Im Jahr davor,
erzählte sie, hatten die Zweige, die auf ihre Seite herüberhingen, nur drei
oder vier Früchte getragen, aber alle waren grün abgefallen. Der Junge hatte
ihnen gut Zureden wollen, damit sie wenigstens dieses Jahr reif würden. Sie
meinte, das wäre seine kindliche Art, ihnen gut zuzureden, falls es ihnen nicht
selbst eingefallen wäre. Der bloße Gedanke daran machte das Geschehene noch
tragischer. Und sie brach verzweifelt in Tränen aus.
Im wesentlichen gab es
zwei Meinungen im Zug: Die einen bezeichneten den Krach, der mit dem Blitz
einhergegangen war, als einen einzigen Knall, die anderen als Donnergrollen.
Ich persönlich
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