Schwarzer Regen
bis es wieder zur
Erde kam. Unter den Noten standen die Worte: „Kirschblüte, Kirschblüte, im
Frühlingshimmel...“ Der Geschäftsführer ließ sich das Blatt geben und
betrachtete es. „Furchtbar“, sagte er und steckte es in die Tasche.
Der Lastwagen kam, die letzte Gruppe
verabschiedete sich. „Alles Gute“, sagten sie im Chor. Und als der Wagen
anfuhr, winkte der Geschäftsführer und rief: „Nicht aufgeben! Immer nur
lächeln!“ Vielleicht klangen die Worte unter solchen Umständen wie purer Hohn,
aber was sollte man sonst sagen. Insgesamt fuhren etwa zweihundertfünfzig.
Nicht nur die Leichtverletzten, auch die anderen Angestellten schickte man
fort, vorausgesetzt, sie wußten, wohin sie gehen sollten. Herr Fujita hatte das
aus der Situation heraus so entschieden. Dadurch blieben etwa hundert Personen
übrig — die Schwerverwundeten, die sich nicht fortbewegen konnten, einige, die
freiwillig blieben, um jene zu pflegen, und ein paar, die sowieso schon im
Schlafsaal Unterkunft gefunden hatten, sowie deren Angehörige. Angestellte, die
in der Woche immer im Schlafsaal übernachteten, während ihre Familien in
Hiroshima lebten, hatten jetzt nicht nur kein Zuhause mehr, sondern wußten auch
nicht, wie sie ihre Familien suchen sollten. Sie konnten wirklich nur
herumstehen und warten. Ich ließ im Betrieb einige Bretter spalten, jedes Stück
etwa zwei Meter lang und zehn Zentimeter breit. Darauf schrieben wir ihre Namen
und den Aufenthaltsort. Diese Pfähle konnte man dann an den Ruinen ihrer Häuser
einschlagen. Ich überlegte, daß einer pro Person, ein gutes Dutzend also,
reichen würde, aber ein älterer Arbeiter haute sich noch drei zusätzliche
Bretter zurecht, die er an den Ruinen der Häuser verschiedener Tanten und Onkel
aufstellen wollte. Ein Mann aus der Herstellung mit Namen Ueda wußte, daß der
betreffende Arbeiter aber weder Tante noch Onkel besaß. Ueda kam extra zu mir
ins Büro, um mir das zu sagen. „Das kommt davon, wenn man Idealen nachjagt wie der ,Großostasien -Wohlstandssphäre’ bemerkte er im
Hinausgehen. „Kriegerwitwen nehmen zu, junge Männer gibt es immer weniger,
während gewisse Leute sich auf betrügerische Weise bereichern.“ Ich humpelte
hinter ihm her, so weh mir die Füße auch taten. „Behalten Sie solche
zersetzenden Meinungen lieber für sich“, warnte ich ihn. Dabei versuchten wir
eigentlich gar nicht, unsere defätistische Stimmung voreinander zu
verheimlichen.
Nach dem Mittagessen stellte ich gerade eine
Liste derjenigen zusammen, die nach Hause gefahren waren, als ein Arbeiter, ein
Mann von etwa fünfzig Jahren namens Nonomiya, hereingerannt kam, um zu melden,
daß einer der Schwerverwundeten gestorben sei. „Er warf sich in seiner
Todesqual hin und her“, erzählte er, „und brach eine Menge gelben Schleim aus.
Dann sackte er plötzlich zusammen.“ Der Tote, fünfzig Jahre alt und einer
unserer Handlungsreisenden, hatte auf dem Weg zur Arbeit seine Wohnung in
Hiroshima eben verlassen, als die Bombe fiel. Seine Wangen waren geschwollen
und aschfahl gewesen, Sehvermögen und Gehör aber unversehrt. Ich gab der
Herstellung den Auftrag, so schnell wie möglich einen Sarg zu zimmern; außerdem
schickte ich einen Angestellten namens Fujiki mit der Todesanzeige zum Rathaus
und bat um Anweisungen, wie der Leichnam zu bestatten sei. Nonomiya schickte
ich nach einem Arzt und einem Priester. Beide kamen rasch zurück. Das Rathaus
hatte praktisch geschlossen; sie nahmen dort nicht einmal Sterbemeldungen
entgegen und dachten gar nicht daran, sich mit Anweisungen zur Bestattung von
Toten zu befassen. Der Arzt war nicht zu Hause, er suchte in Hiroshima nach
seinem Kind. Der einzige andere Arzt machte Hausbesuche bei schwerverwundeten
Patienten. Der Priester, der in seiner eigenen Gemeinde drei Todesfälle hatte,
konnte auch nicht kommen. An wen sie sich auch wandten, die Leute hatten zu
sehr mit sich selbst zu tun, als sich noch um andere zu kümmern. Ich wußte
nicht, was ich anfangen sollte. Ich besprach die Lage mit dem Geschäftsführer,
als ein Pförtner von einem Botengang zurückkehrte und berichtete, daß überall
auf den ausgetrockneten Stellen im Fluß Scheiterhaufen rauchten. Das
Krematorium war überfüllt, man konnte nicht erst warten, bis man drankam.
Wir lebten jetzt in einem Ausnahmezustand
sondergleichen. Es blieb einfach keine Zeit, auf Totenscheine,
Bestattungsgenehmigungen und dergleichen zu warten. Hinsichtlich des
Personenstandsregisters und
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