Schwarzer Regen
ähnlicher Dinge waren Furuichi und Hiroshima zwar
getrennte Gemeinden, doch selbst in normalen Zeiten dauerten die Amtshandlungen
reichlich lange. Dennoch mußte geklärt werden, wie man die Toten bestatten
sollte, und so schickte der Geschäftsführer einen Angestellten aus der
Verwaltung in die Stadt, um Erkundigungen einzuholen. Der Geschäftsführer war
ungefähr in meinem Alter, aber er hielt sich viel strenger an die Vorschriften
als ein normaler Bürokrat — vielleicht, weil er halb Regierungsbeamter, halb
einfacher Bürger war. Er konnte gut Englisch, theoretische Arbeit lag ihm mehr
als praktische; auf der Hochschule hatte er eine Examensarbeit über den
Erfinder der automatischen Spinnmaschine geschrieben.
Als der Mann aus der Verwaltung zurückkam,
berichtete er, sogar die Polizei habe das Verbrennen von Leichen am Fluß als
unumgängliche Notwendigkeit gestattet, letzten Endes schon aus hygienischen
Gründen. Kurzum, es gab niemanden, der Totenscheine ausschrieb, und auch
keinen, dem man sie aushändigen konnte, selbst wenn man welche gehabt hätte.
Bei dieser Hitze gingen die Leichen sehr schnell in Verwesung über. Das
Krematorium war überfüllt und fiel praktisch aus. Rasch handeln war also die
Devise des Tages: Man mußte sie verbrennen, am Flußufer oder in den Bergen — egal
wo, bloß weit ab von menschlichen Ansiedlungen.
Der Geschäftsführer überlegte eine Weile.
„Beerdigen können wir ihn vermutlich nicht. Ob Tote beerdigt oder verbrannt
werden, ist immer von der Regierung entschieden worden, und wir haben uns an
die nationalen Gepflogenheiten zu halten. Jawohl — wir müssen sie am Flußufer
verbrennen, wie es alle anderen tun.“ Er blickte mich an. „Aber die Sache ist
die, Shizuma“, sagte er mit Nachdruck, „wir können sie nicht einfach
einäschern. Man kann doch nicht bloß sagen: ,Ach je,
der ist tot!’, ihn wegschaffen und verbrennen, und damit hat sich’s. Man täte
dem Verstorbenen auch unrecht, wenn man ihm nicht ein bißchen mehr Ehre
erwiese. Ich persönlich glaube zwar nicht an die Unsterblichkeit der Seele,
aber ich meine doch, man soll von den Toten mit gebührender Ehrerbietung
Abschied nehmen. Also, Shizuma, ich möchte, daß Sie das Amt des Priesters
ausüben und die Gebete lesen, wenn wir einen Todesfall zu beklagen haben.“
Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Ob das
nun eine Anweisung war oder nicht — aus den Sutras zu lesen ging wirklich über
meine Kräfte. „Ich fürchte, das ist ganz unmöglich“, sagte ich. Aber der
Geschäftsführer bestand darauf. Er meinte, wir müßten mit weiteren Todesfällen
rechnen. Ich sollte in einen Tempel gehen und mir aufschreiben, aus welchen
Schriften der Priester bei Einäscherungen liest. Ich sollte auch die Texte
notieren, die von der Shin-Sekte bevorzugt wurden, weil viele Leute aus
Hiroshima ihr angehörten.
„Herr Fujita, ich fürchte, ich kann das nicht.
Wenn ich mir noch so viele Notizen mache, bin ich doch nicht geeignet, den
Toten das letzte Geleit zu geben. Und was den Buddhismus betrifft, davon
verstehe ich überhaupt nichts.“
„Wer sonst ist denn geeignet? In dieser Hinsicht
kann keine Rede sein von Experten oder Neulingen. Ein Laie, der einem Toten aus
der Schrift liest, ist doch nicht zu vergleichen mit einem Laien, der einem
Kranken Medizin verabreicht. Wir handeln auch nicht gegen die Vorschriften. Und
wenn Ihnen die Shin-Sekte nicht liegt, dann eben die Zen- oder Nichiren-Sekte.
Ich weiß, Ihnen ist das unangenehm; tut mir leid, aber sehen Sie es als einen
Befehl an, den Sie auszuführen haben.“
Ich gab jeden weiteren Versuch zu widersprechen
auf, hängte meinen Luftschutzumhang über, damit ich vorschriftsmäßig gekleidet
war, und zog ein Paar alte Tabi an, die ich mir vom Geschäftsführer borgte, um
meinen schmerzenden Füßen etwas Erleichterung zu verschaffen. Ich steckte mir
Visitenkarten und ein Notizbuch ein, schlüpfte in einfache Sandalen und machte
mich auf den Weg. Ich kannte mehrere Tempel in Furuichi. Zuerst besuchte ich
einen, dessen noch junger Priester sich als Student in einem Buddhisten-Seminar
sehr hervorgetan haben sollte, aber die alte Frau, die zum Eingang kam, sagte
mir, er sei zur Akatsuki-Einheit eingezogen worden. Dann ging ich zu einem
Shinto-Tempel, in dem ein betagter Priester und ein Hilfspriester Dienst taten.
Der alte Priester war krank und bettlägerig, und der andere befand sich bei
einem Begräbnis, dies teilte mir eine nicht mehr junge, etwas
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