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Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Masuji Ibuse
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noch, als ein Zug nach Tokio einlief und an die dreißig
Leute ausstiegen. Etwa die Hälfte waren Verwundete, der Rest Leute, die in
Hiroshima nach Freunden und Angehörigen gesucht hatten. Es gab einen lauten
Meinungsaustausch zwischen ihnen und ungefähr zwanzig anderen, die auf den Zug
gewartet hatten: „Kein Glück!“ — „Hast du sie gefunden?“ — „Steht das Haus
noch?“ — „Hast du jemand getroffen, den wir kennen?“ — „Ich habe einen Zettel
ans Brückengeländer geklebt
    Offensichtlich hatte niemand Erfolg gehabt. Die
Ankömmlinge mischten sich mit denen, die gewartet hatten, Verletzte und Gesunde
— ein Mann mit einem Kind, eine Frau mit einem Säugling auf dem Arm, ein Paar,
das wie Bruder und Schwester aussah — , und drängten über den Bahnsteig durch
die Sperre, wo sie in der Dunkelheit verschwanden.
    „Wir werden kaum mehr Glück haben, wie es
aussieht“, sagte einer der Brüder. „Vielleicht finden wir wenigstens ihre Asche
in den Ruinen“, meinte der andere. „Schließlich können wir doch jetzt nicht
wieder umkehren.“
    Sie bekamen einen Zug irgendwann nach ein Uhr in
der Nacht und erreichten Hiroshima gegen fünf Uhr früh. Es war kurz nach
sieben, als sie schließlich die Ruinen unseres Hauses in Senda-machi fanden.
Ich hatte keinen Zettel angebracht mit einem Hinweis, wo wir uns jetzt
aufhielten, aber Watanabe, der uns ein paarmal besucht hatte, erkannte die
Stelle an der Kiefer und an dem Teich. Nun waren sie zwar angekommen, doch was
sollten sie tun? Unsere Namen zu rufen hatte keinen Sinn, wenn es hier weit und
breit keinen Unterschlupf mehr gab, und sie hatten keine Geräte, um in der
Asche zu graben. Sie hielten uns für tot. Wo und wie immer es auch geschehen
war, hier wollten sie unser gedenken. Sie zündeten die Weihrauchstäbchen an und
steckten sie am Teich in die Erde, stellten die Essigflasche mit dem Wasser für
die Toten daneben und streuten die frischen grünen Blätter unter die verkohlten
Reste der Kiefer. Die Kemponashi-Nüsse legten sie vor die Weihrauchstäbchen. Da
kam ein Fremder vorbei und rief ihnen zu: „Suchen Sie die Shizumas?“ Als sie es
bestätigten, stellte er sich vor, er sei Herr Nakao und wohne in einer Hütte
ganz in der Nähe. Herr Shizuma, seine Frau und ihre Adoptivtochter seien
weggegangen, zu der Fabrik in Furuichi, erzählte er ihnen. „Sind sie nicht
verletzt?“ fragten sie. „Herrn Shizumas Wange ist etwas verbrannt“, sagte er,
„nur eine leichte Verbrennung.“
    Herr Nakao erklärte ihnen den Weg nach Furuichi.
Mit einem Stück Holzkohle zeichnete er eine Skizze in die Asche, und Watanabe
malte sie sich in sein Notizbuch ab. Mit dieser Hilfe und der unzähliger
anderer Leute, die sie unterwegs fragten, erreichten sie den Bahnhof Yamamoto
und fuhren von dort mit dem Zug nach Furuichi, wo sie unsere Adresse im Werk
erhielten. Das war kurz nach halb zwölf, wie sie sagten. Warum hatte mir bloß
Herr Nakao nicht erzählt, daß uns jemand gesucht hatte? Das Leben zwischen den
Trümmern mußte wohl seinen Verstand zeitweilig beeinträchtigt haben.
    Shigeko und Yasuko waren unter der Kiefer ein
paar grüne Blätter aufgefallen, wie sie sagten. Sie hatten auch eine
Essigflasche am Teich stehen sehen mit einem reichlich bunten Etikett, worauf
ein Mädchen vom Land mit einer leuchtend roten Schärpe abgebildet war. Shigeko
hatte sich noch gewundert, daß mitten in den Trümmern eine unversehrte Flasche
stand und daneben die grünen Kemponashi-Nüsse lagen. Ich selbst hatte nichts
bemerkt, war aber jetzt, da ich die Geschichte hörte, von der Umsichtigkeit
meiner Mutter tief berührt. Offensichtlich hatte sie die Nüsse als eine
besondere Gabe für den Frieden meiner Seele gedacht. Als Kind hatte ich es
immer nicht erwarten können, bis die Kemponashi-Nüsse endlich reiften und
herunterfielen. Ich hatte mit Steinen nach den Ästen geworfen, um sie
herunterzuholen, wofür ich jedesmal Schelte von meinem Vater bezog. Manchmal war
auch ein Stein zu weit geflogen und auf dem Dach des Badehauses gelandet.
Mutter hatte das wohl nie vergessen.
    Unser Besuch erzählte, daß ständig Nachbarn und
andere Freunde aus dem Dorf unsere Familie aufsuchten, um sich nach uns zu
erkundigen. Sie taten wenigstens so, als wollten sie sich erkundigen, aber aus
ihrem ganzen Gebaren ging eindeutig hervor, daß sie in Wirklichkeit kamen, um
ihr Beileid auszusprechen. Nur einer, der Besitzer des Dorfladens, hatte anders
reagiert. „Sie sollten mehr

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