Schwarzer Regen
zu Hause erhalten hatten. Takamaru ergänzte ihn
hin und wieder. Mündliche Berichte über die Bombardierung hatten das Dorf
Kobatake früh am Abend des Sechsten erreicht, erzählten sie. Eine hochexplosive
Bombe sei auf Hiroshima abgeworfen worden. Ein Drittel der gesamten Bevölkerung
einschließlich der Truppen und der Kriegsfreiwilligen sei sofort umgekommen,
das zweite Drittel schwer verwundet, und auch der Rest habe ohne Ausnahme
Verletzungen erhalten. Das seien keine defätistischen Gerüchte, wurde
behauptet, sondern nackte Tatsachen. Weitere Berichte trafen am 7. und 8.
August ein, und sie waren noch beunruhigender.
Dann kamen die Verwundeten aus Hiroshima in
ständigem Strom in die Dörfer. Einige starben, kaum daß sie ihre Heimat
erreicht hatten. Andere litten unter entsetzlichen Qualen. In Hirose gab es
einen Arzt, einen Kinderarzt, der von Kobe aufs Land geflüchtet war. Et sah sich die Patienten an, erklärte dann? seine Diagnose
sei: unbekannte Krankheit, für die es keine Behandlung gibt. Er legte ihnen
Brandsalbe auf und spritzte denen, die über heftige Schmerzen klagten,
Pantopon, konnte davon jedoch nur ein Dutzend Ampullen auftreiben. Es gab so
viele Patienten, daß die Medikamente nicht einmal für den ersten Tag reichten.
Zwei Männer waren verwundet nach Kobatake
zurückgekommen, beide mit Brandwunden und Knochenbrüchen. Unsere Gäste hatten
sie aufgesucht und sich nach dem Ausmaß der Schäden im Gebiet von Senda-machi
erkundigt. Aber sie erfuhren nur, daß die Häuser niedergebrannt und alle
Überlebenden verwundet waren; es gab nicht den geringsten Anhaltspunkt, ob wir
noch lebten oder nicht. Wären wir nur verletzt, dann hätten wir uns doch ganz
sicher schon im Dorf gemeldet; da wir nicht kamen, konnte das eigentlich bloß
unseren Tod bedeuten. Wie sollten wir in der ausgebrannten Stadt auch noch
leben können? So hielten uns alle für tot. Aber auch in diesem Falle hatte man
sich darum zu kümmern. Wenigstens mußte jemand nach den Überresten suchen.
Watanabe überlegte noch hin und her, was er unternehmen sollte, als am Morgen
des Zehnten fünf Verwandte wie auf Verabredung alle zur gleichen Zeit bei ihm
erschienen. Sie beratschlagten, was zunächst zu tun sei. Watanabe und Takamaru
sollten als Abgesandte der Familie nach Hiroshima fahren. Sie machten sich also
auf den Weg und nahmen Reiskuchen und gedörrten Reis mit — weil es sich am
besten als Opfergabe für die vermutlich Verschiedenen eignete.
Ehe sie abfuhren, suchten sie noch meine alte
Mutter auf und erzählten ihr alles. Sie trafen dort meine jüngere Schwester mit
ihren beiden Kindern. Meine Mutter, davon überzeugt, daß wir entweder in Stücke
gerissen oder unter dem Haus begraben waren, hatte unsere drei Fotos auf dem
Hausaltar aufgebaut und davor drei Becher Wasser gestellt und ein paar Dahlien
in einer Vase.
„Wenn ihr nach Hiroshima fahrt“, sagte sie,
„dann möchte ich euch wenigstens Weihrauch mitgeben und Wasser und eine
Handvoll frische Blätter aus dem Dorf. Ihr könnt den Weihrauch auf der Stelle
verbrennen, wo das Haus gestanden hat, und zu ihrem Andenken das Wasser
versprengen und die Blätter ausstreuen. Und nehmt auch noch ein paar
Kemponashi-Nüsse mit für Shigematsu — er hatte die Kemponashi-Bäume so gern.“
Sie füllte Wasser vom Brunnen in eine leere
Essigflasche, wickelte ein paar Weihrauchstäbchen und frische grüne Blätter in
ein Stück Papier und gab alles Watanabe. Dann hob sie ein paar Kemponashi-Nüsse
auf, die grün abgefallen waren, und steckte sie in die Außentasche seines
Rucksacks.
Die Gemeinde Kobatake liegt etwa sechshundert
Meter über dem Meeresspiegel auf einer Hochebene, die auf drei Seiten von
Bergen umgeben ist. Dort ist die Wasserscheide zwischen dem Ashida-Fluß, der
nach Süden durch den Ostteil der Präfektur Hiroshima fließt, und dem Oda-Fluß,
der die Präfektur Okayama bewässert. Früher hatte das Gebiet der Sippe der
Nakatsus aus Kyushu gehört, und in Kobatake stand das Sippenamt. Auch heute
noch gibt es in der Gemeinde die Gutshäuser der Samurais, aber das Dorf
verfällt immer mehr, und die Verkehrsverbindungen sind schlecht. Watanabe und
Takamaru mußten zwei Stunden lang die Landstraße am Ashida-Fluß talabwärts
gehen, bis sie bei Uokiri auf einen leeren LKW stießen, der sie mitnahm. Es war
schon zehn Uhr durch, als sie abends die Ruinen von Fukuyama erreichten.
Fukuyama war am Achten bombardiert worden und
die ganze Stadt bis auf das Nordviertel
Weitere Kostenlose Bücher