Schwarzer Regen
Vertrauen haben und nicht ihre Bilder auf den Altar
stellen“, hatte er zu meiner Mutter gesagt. „Damit beschwören Sie nur Unglück
herauf. Warten Sie erst mal ab — sie werden gesund und unversehrt
zurückkehren.“ Und dann war er wieder gegangen, ohne die üblichen Höflichkeiten
auszutauschen.
Ich entschuldigte mich, weil ich am nächsten
Morgen zeitig aufstehen mußte, und legte mich in dem kleinen Zimmer nebenan zu
Bett. Ich konnte sie immer noch erzählen hören. Die Leute in Kobatake, sagten
sie, zogen wie alle anderen aus, um Kiefernwurzeln zu graben. Selbst meine alte
Mutter hatte sich hinausgewagt und in den Bergen gegraben und sich lauter
Blasen an den Händen geholt. Aus den Wurzeln wurde mit einer Dampfpresse Öl
gewonnen, und das benutzte man — jedenfalls hatten sie es von einem Offizier
der Marine gehört, der extra ins Dorf gekommen war — , um die Motoren der
Flugzeuge zu schmieren, die die B-29 abschießen sollten. Das Graben von
Kiefernwurzeln hatte man als eine Form der freiwilligen Kriegshilfe organisiert
und für das Auspressen der Wurzeln im Tal am Fluß eine Hütte errichtet...
Heute morgen stand ich
zeitig auf und begann einen Brief zu schreiben, den sie meiner Mutter mitnehmen
sollten; aber es stiegen so viele liebe Erinnerungen in mir auf, daß ich es
ließ. Unsere Gäste schliefen noch, als ich mich auf den Weg machte, um den
ersten Zug zu bekommen. Der Zug hielt wie immer in Yamamoto, und von dort ging
ich zu Fuß zur Yokogawa-Brücke — eine Strecke von ungefähr drei Kilometern.
Die Ruinen boten den gleichen Anblick wie am Tag
vorher. Die Gestalten, die zwischen dem Schutt nach Überresten suchten, sahen
aus wie Leute, die an der Küste nach Muscheln suchen, gebeugt und gewissermaßen
bewegungslos; man sah nur ihren Rücken, ab und zu richteten sie sich plötzlich
auf, fielen aber sofort wieder in die gebückte Haltung zurück. Als ich über die
Yokogawa-Brücke ging, hielt ich nach dem Pferd Ausschau, das am Sechsten schwer
verletzt und noch zuckend unter der Brücke gelegen hatte. Viel mehr als das
Skelett war nicht übriggeblieben. Unten am Fluß schöpften zwei Männer, die wie
Vater und Sohn aussahen, Wasser mit Blechstücken, die sie zu einer Art Trichter
gebogen hatten. Auch auf der anderen Seite der Brücke schöpften zwei Frauen
mittleren Alters Wasser mit ähnlichen aus Blech geformten Gefäßen; sie waren
eine Weile emsig, dann lehnten sie sich ermattet an die Ufermauer. Zwischen die
Steine der Mauer hatten sie Bambusstangen und andere Stöcke gesteckt, darüber
Bretter, Matten und auch Wellblech gelegt und sich so eine Art Schutzdach
gebaut. Weiter den Fluß hinauf konnte man noch eine ganze Reihe ähnlicher
Verschläge sehen.
In Sorazaya-cho, am Nordende der Aioi-Brücke,
bemerkte ich zwei Frauen auf der Erde zwischen Stapeln zerbrochener Ziegel; sie
weinten still vor sich hin. Sie mochten ungefähr zwanzig sein und sahen wie
Schwestern aus.
Von den oberen Stockwerken des
Industrieausstellungszentrums und der Industrie- und Handelskammer war nur noch
die Stahlkonstruktion geblieben. Die Aioi-Brücke, die aus Eisenbeton bestand,
hatte sich in der Mitte zusammengeschoben und bildete einen Buckel von fast
einem Meter Höhe. Der Beton war gesprungen wie in einem Puzzlespiel. Überall
gab es zentimeterbreite Spalten. Ein Wasserrohr, das neben der Brücke über den
Fluß lief, war geborsten, und man konnte tief in die aufgerissenen Enden
hineinsehen.
Als ich das Südende der Motokawa-Brücke
erreichte, war gerade Ebbe, und zwischen den im Flußbett zurückgebliebenen
Tümpeln sah ich verschiedene Fische, wie Meeräschen, halb verwest, so daß die
Mittelgräten zum Vorschein kamen. Hier und dort lagen tote Krabben herum, die
zwischen den Steinen an der Böschung hervorgekrochen waren. Abgesehen von den
hohen Ährengräsern wucherte das Unkraut am Ufer wie wild. Soviel ich auch
darüber nachdachte, es war nicht zu ergründen, wieso Blitz und Donner Unkraut
zu so rasendem Wachstum anregen konnten.
An den Geländern jeder Brücke, die ich
überquerte, klebten auf Papier geschriebene Mitteilungen, viele hatte man auch
einfach mit Holzkohle auf die Brücke gekritzelt. Ihre Anzahl war erstaunlich.
Die Papierfetzen flatterten im Wind hin und her. Viele Menschen standen davor
und überflogen sie, wie die Menge, die sich vor dem Nachrichtenbrett einer
Zeitungsredaktion ansammelt. Mitunter hielt jemand inne, schrieb etwas und hastete
in großer Eile davon. Die Nachrichten
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