Schwarzer Regen
von dort nach Shoge
fuhr kein Zug, sie waren mit einem Holzgaslastwagen gefahren, von Shoge hatte
man sie dann mit dem Zug bis Yaga-machi gebracht. Nicht einer von ihnen hatte
genörgelt oder war unterwegs geflüchtet. Sie sollten ja nicht irgendwelchen
Opfern der Bombe beistehen, sondern die Angehörigen der Kojin-Brigade aus ihren
eigenen Dörfern suchen, die sich in Hiroshima aufhielten, als die Bombe fiel.
„Wir sind euch allen sehr verbunden“, sagte ich
förmlich zu Rikuo und Masaru, wobei ich mich leicht verbeugte. Ich verbeugte
mich auch vor Tamotsu und sagte: „Vielen Dank!“
„Aber ist das nicht ein toller Zufall?“ meinte
Tamotsu. „Wirklich ein unglaublicher Zufall, daß gerade ich dem Bergungstrupp
aus Kobatake und Takafuta zugewiesen wurde. Wir sind auf dem Weg zum Lazarett
beim Fernmeldeamt, um nach Überlebenden zu suchen.“
„Bisher haben wir nur fünf aus Kobatake
gefunden“, sagte Masaru. „Rikuo ist schon ganz heiser, so oft hat er durch sein
Megaphon gerufen. Ich werde das bald übernehmen.“
So zog ich mit ihnen zum Lazarett weiter, ich
hatte das Gefühl, ich müßte das einfach tun. Der Schichtschluß im Werk betraf
mich sowieso nicht, und heute schien es mir einfach selbstverständlich, daß ich
mich ihnen anschloß.
Rikuo ging mit dem Megaphon an den Lippen und
rief immer wieder: „He, hallo! Sind Angehörige der Kojin-Brigade aus Kobatake
hier? Ist hier jemand aus Takafuta von der Kojin-Brigade? Achtung, Achtung!
Mitglieder der Kojin-Brigade...“ Ich blickte beim Weitergehen umher und wartete
darauf, daß sein Ruf erwidert wurde, aber so weit das Auge reichte, gab es
nichts als zerbrochene Ziegel, eingefallene Mauern, Autowracks, elektrische
Leitungen, die in Girlanden herunterhingen wie Netze zum Trocknen,
Straßenbahnschienen, verkohlte Balken, angesengte Safes und geschwärzte
Fensterhöhlen.
Plötzlich blieb der Hauptfeldwebel wie
angewurzelt stehen. „Seht mal — das könnte eine amtliche Bekanntmachung sein“,
rief er aus und rückte sich beim Sprechen den Helm zurecht.
Wo er hinzeigte, sahen wir verschiedene
Anschläge, die an einer ausgebrannten Straßenbahn klebten. Der Hauptfeldwebel
ging hinüber, und ich folgte ihm mit ziemlichen Befürchtungen. Die Plakate
waren aus einer Papierrolle geschnittene, rechteckige Streifen. In dieser Zeit
konnte in Hiroshima nur eine Zeitungsdruckerei solches Papier verwenden.
Ich schrieb mir einige Meldungen ins Notizbuch:
Meldung
vom Hauptquartier des Militärbezirks Westjapan. Gegen 11 Uhr sind am 9. August
zwei große feindliche Maschinen in den Luftraum über Nagasaki eingedrungen und
haben anscheinend eine Bombe jenes neuen Typs abgeworfen. Einzelheiten des
entstandenen Schadens werden zur Zeit noch untersucht,
aber er wird vermutlich verhältnismäßig gering sein.
Auf einem anderen Blatt stand folgende
Mitteilung:
10.
August. Der Verteidigungsbeauftragte von Hiroshima an die Bürger der Stadt:
Bei
Verbrennungen wird den betroffenen Personen als zeitweilige Behandlung ein Bad
empfohlen, das zur Hälfte aus Meerwasser und zur Hälfte aus Süßwasser besteht.
Diese Methode bietet ausreichenden Schutz gegen die Auswirkungen der Bombe.
Straßenbahngleise
und Hauptstraßen sind jetzt zu Fuß passierbar.
Auf dem Anschlag daneben stand:
Aus
dem Kaiserlichen Hauptquartier:
1.
Gestern, am 6. August, wurde die Stadt Hiroshima bei einem Angriff durch wenige
feindliche Maschinen vom Typ B-29 beträchtlich beschädigt.
2.
Der Feind scheint bei diesem Angriff einen neuen Bombentyp eingesetzt zu haben.
Einzelheiten werden zur Zeit untersucht.
Auf das freigelassene Ende des Plakats hatte
jemand, vermutlich ein nichtsnutziger Schmierfink, mit Holzkohle geschrieben:
„10. August: Sowjetunion tritt in den Krieg ein.“ Er mußte es wohl geschrieben
haben, als der Anschlag bereits an der Straßenbahn klebte. Und man konnte aus
der ungelenken Schrift und der Holzkohle, die überall herumlag, schließen, daß
es sich dabei nicht um eine offizielle Bekanntmachung handelte, aber man durfte
es auch nicht als grundloses Gerücht abtun.
Die Nachrichten weckten in mir nicht das Gefühl,
daß endlich ein Ende abzusehen war, sondern daß wir das Ende vielmehr schon
lange überschritten hatten. Einen Augenblick befürchtete ich, meine Beine
könnten mich nicht mehr tragen. Die linke, verbrannte Seite des Gesichts zuckte
ständig gegen meinen Willen. Ich spürte das, obwohl die Oberfläche von der
Verbrennung
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