Schwarzer Regen
angehört
hatte. „Aber ich fürchte, im Augenblick werden Sie zusehen müssen, selbst
irgendwie zurechtzukommen. Sehen Sie mal, uns liegt doch vor allem daran, daß
Soldaten und Zivilisten zusammenarbeiten, daß alle ihre ganze Vorstellungskraft
und Geschicklichkeit aufbieten, um Auswege aus jeder sich bietenden
Schwierigkeit zu finden. In einem Katastrophenfall wie diesem muß die gesamte
Öffentlichkeit ein Gefühl des Zusammenwirkens für die gemeinsame Sache entwickeln.“
Mich interessierte nichts weiter als die
Kohlenzuteilung; solche abstrakten Phrasen nützten mir überhaupt nichts.
„Werden Sie mir also das Empfehlungsschreiben an
die Zeche in Ube ausstellen, Herr Leutnant?“
„Leider kann ich Ihnen darauf erst eine Antwort
geben, wenn ich die Sache meinen Vorgesetzten unterbreitet habe und die
Beratung stattgefunden hat. Dennoch bin ich Ihrer Meinung, daß etwas
unternommen werden muß.“
„Könnten Sie denn nicht die Kohlenvorräte in
Ujina freigeben?“
„Das kommt überhaupt nicht in Frage, wie ich
Ihnen schon gestern erklärt habe. Das steht außerhalb unserer Verfügungsgewalt.“
Genau wie gestern kam ich mir wieder völlig
hilflos vor, mit dem einzigen Unterschied, daß die Ablehnung heute weniger
barsch geäußert wurde und er sich weniger dünkelhaft benahm. Es hatte keinen
Zweck, weiter in ihn zu dringen.
Ich ging vom Bekleidungsdepot durch die Ruinen
von Fukuro-cho auf der Straße mit den Gleisen der Elektrischen zum
Fernmeldeamt, als mi ch ein Soldat mit der „Bergungstrupp“-Armbinde
überholte. Beim Gehen rief er: „He, hallo, steckt hier jemand von der
Kojin-Brigade?“ Ich sah ihn im Profil, und im selben Moment drehte er sich um.
„Meine Güte, Tamotsu!“
„Mann, bist du das, Shigematsu!“
Das war wirklich ein erstaunlicher Zufall, denn
Tamotsu kam aus Kobatake. Vor ein paar Jahren war er zum Himeji-Regiment
gekommen, und im vorigen Jahr hieß es im Dorf, er sei Unteroffizier in einer
Sanitätskompanie geworden. Jetzt trug er jedenfalls einen neuen Tropenhelm,
hatte einen Säbel an der Seite und Kragenspiegel eines Hauptfeldwebels am Hemd.
„Du bist ja vorangekommen in der Welt“, rief ich
verwundert aus. „Und einen Riesensäbel hast du!“
„Na ja“, meinte er, „ist schon ‘ne Weile her,
daß ich zum Fukuyama-Regiment versetzt wurde, und seit dem Siebenten bin ich
hierher beordert. Als Sanitätsfeldwebel gehöre ich zu den Bergungskommandos,
die hier aufräumen.“ Das schien ihm gar nicht zu passen.
Seine beiden Begleiter kannte ich auch vom
Sehen. Der eine war Rikuo, Mitglied der Feuerwehr von Kobatake, ein äußerst
schweigsamer Mann, der als Meister in der Feuerbekämpfung galt. Der andere,
Masaru, kam aus einem anderen Teil der Gemeinde und sollte sein Geschäft als
Feuerwehrmann genausogut verstehen wie Rikuo. Beide waren dem Polizeibefehl am
Tag nach dem Bombenabwurf gefolgt und als Mitglieder des Bergungstrupps
hergekommen, um zwischen den Ruinen nach Angehörigen der Kojin-Brigade zu
suchen.
Rikuo hatte ein Megaphon, das an einer Schnur um
seinen Hals hing, und Masaru trug eine Bahre mit Griffen aus noch grünem
Bambus.
„Diese Bambusgriffe stammen doch bestimmt aus
dem Hain beim Kannon-Tempel hinten in Kobatake. Ich krieg richtig Heimweh, wenn
ich das sehe.“
„Red nich so ‘n Quatsch“, sagte Masaru. „Wir
haben sie von der Polizei in Miyoshi.“
Die Angehörigen des Bergungstrupps, erfuhr ich,
waren nicht unmittelbar von Kobatake nach Hiroshima gekommen. Zuerst hatten sie
sich auf Wunsch des Gemeindevorstehers am Gemeindehaus versammelt. Dann waren
sie nach Yuki gezogen und hatten sich dort auf dem Gemeindeamt gemeldet (ihr
Befehl hatte einfach gelautet, sich in Feuerwehruniform einzufinden). In Yuki
hatten sich auch Männer aus anderen Dörfern des Kreises eingefunden, und der
Bürgermeister hielt ihnen eine Rede zum Thema „Stärkung des Kampfgeistes der
Bevölkerung an der Heimatfront“. Von dort aus schickte man die ganze Schar nach
Shoge, wo noch weitere Helfer aus anderen Dörfern zusammenkamen; wieder hatte
der Bürgermeister eine Ansprache gehalten und dann alle nach Miyoshi gesandt.
Dort stießen ebenfalls Männer aus den umliegenden Dörfern zu ihnen, und sie
mußten wiederum eine aufrüttelnde Ansprache des Bürgermeisters anhören, der
ihnen zurief, sie seien alle tapfere Helden, die zu den Ruinen Hiroshimas
aufbrächen, um ihre Pflicht in einer Zeit höchster nationaler Bedrängnis zu
tun.
Von Kobatake nach Yuki und
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