Schwarzer Regen
ungefähr dreißig Jahren und nahm
gleichzeitig einen widerlichen Geruch wahr, den gleichen Geruch wie gestern in
der Sammelstelle in Nagao-cho, den Geruch von den Opfern der Bombe.
„Entschuldigen Sie, bitte“, sprach ich sie an.
„Dürfte ich fragen, ob Sie vom Lazarett für Bombengeschädigte sind — eine
Ärztin oder Krankenschwester vielleicht?“
„Nein“, erwiderte sie mit großer Ruhe. „Ich bin
Mitglied der Frauenvereinigung für Nationale Verteidigung in Onoura. Ich
arbeite freiwillig als Krankenschwester für die Opfer. Gestern hat mir schon
ein anderer Passant die gleiche Frage gestellt. Ich verbreite offensichtlich
einen unangenehmen Geruch, wie?“
„Ja — wenn Sie es mir nicht übelnehmen, aber Sie
stinken sozusagen zum Himmel.“
„Sie wollen vermutlich jemanden unter den
Verletzten suchen“, fuhr sie fort. „Ich werde Sie dort hinbringen. Halten Sie
sich ein bißchen abseits, wenn ich so rieche.“
Es gibt doch noch anständige Menschen auf der
Welt, dachte ich bei mir. Ich war entschlossen, mich nicht an dem Geruch zu
stören und neben ihr zu gehen. Unterwegs erkundigte ich mich nach dem Lazarett.
(Nachtrag: Später erfuhr ich, daß sie Tamiyo
Oshima hieß, Mitglied der Frauenvereinigung war und sich durch große Güte in
der Pflege der Verletzten auszeichnete. Ihr Mann, der bei der Armee in der
Mandschurei war, wurde am Ende des Krieges in Sibirien gefangengenommen, kehrte
aber nach nicht allzu langer Zeit nach Japan zurück. Ganz offensichtlich ließ
der Gedanke an den eigenen Mann, weit weg auf dem Schlachtfeld, sie so
selbstlos zum Wohl der Opfer arbeiten. Sie war bei den jungen Soldaten und
Zivilisten unter den Patienten sehr beliebt. Kranke, die durch die Maden in den
Brandwunden auf dem Rücken unter unerträglichem Juckreiz litten, konnten sie
sogar dazu überreden, ihnen die Wunden zu kratzen. Andere, die sich allein und
verlassen dem Tode nahe fühlten, verlangten nach ihr, und einige von ihnen
starben mit dem Kopf auf ihrem Schoß. Kurz nach Kriegsende ging sie den weiten
Weg nach Takafuta und Shoge im Bezirk Jinseki, um die Asche von zwei
Angehörigen der Kojin-Brigade den Familien zu überbringen. Zu jener Zeit
verkehrten keine Busse, folglich kam sie zuerst nach Kobatake, bat einen Mann
namens Tomonari Torao, sie durch die Berge nach Takafuta und dann weiter nach
Shoge zu geleiten. Torao war der einzige Überlebende von den Einwohnern des
Ortes, die man nach Onoura gebracht hatte. Die beiden anderen, ein Mann namens
Fukushima aus Takafuta und ein gewisser Maebara aus Shoge, kehrten nur als zwei
Schachteln mit Asche aus Onoura nach Hause zurück, die Frau Oshima unter dem
Arm trug. Bis zum heutigen Tag spricht Torao von ihr als der „Nachtigall von
Onoura“.)
Ich erfuhr von dieser schönen, aber
übelriechenden Begleitung, daß Onoura ungefähr dreizehn Kilometer vom Zentrum
der Explosion in Hiroshima entfernt lag. Als am 6. August die Bombe fiel,
jätete sie gerade mit ihrer älteren Schwester auf den Reisfeldern Unkraut. Was
wirklich geschehen war, konnten sie nicht ermessen. Es hatte einen Knall
gegeben, daß die Blätter der Reispflanzen zitterten. Sie hatten zunächst an ein
Erdbeben gedacht, aber auf ihrem Nachhauseweg nach ein paar weiteren Stunden
Arbeit bemerkt, daß an der Wand der Toilette, die zum Textilgeschäft gehörte,
etliche Kacheln fehlten, eine auffällig große Zahl oben an der Ostseite. Am
östlichen Himmel konnten sie eine sich ausbreitende schwarze Wolke erkennen.
„Ich möchte wissen, was das ist — ein Rauchschleier für ein Manöver, was meinst
du?“ hatte ihre Schwester gesagt. „Wenn nicht, dann muß da wirklich was
passiert sein.“
Am Nachmittag bog ein Lastwagen von der
Hauptstraße ab und fuhr zur Volksschule. Selbst dann vergingen noch weitere
zwei oder drei Stunden, ohne daß sie irgend etwas erfuhren.
Ungefähr um vier Uhr kam ein Mitglied der
Frauenvereinigung mit einer Bekanntmachung. „An die Mitglieder der
Frauenvereinigung von Onoura: Es werden alle gebeten, zur Schule zu kommen.
Bitte kommt und helft die Verwundeten pflegen! Kommt zur Volksschule, so
schnell wie möglich!“ Sie machten sich fertig und brachen in aller Eile auf.
Auf dem Wege zur Schule wurden sie von mehreren Lastwagen mit Verwundeten
überholt. Sie erblickten beim Vorbeifahren verkohlte Haut, aschfarbene Haut, rohes
Fleisch, Menschen, die wie tot an den Seitenbrettern und der Hinterklappe
lehnten, Menschen mit Papier oder Handtüchern über den
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