Schwarzer Regen
und
es war schon ganz dunkel, als wir schließlich in den Zug stiegen. Teiko wollte
nicht in unserer zeitweiligen Wohnung übernachten, und so verabschiedeten wir
uns in Furuichi. Sie trug einen Rucksack auf dem Rücken, hatte weite lange
Hosen an und ein weißes Hemd mit der Rotkreuz-Armbinde, die sie offensichtlich
auf den Rat von Dr. Hosokawas Frau umgebunden hatte. Wahrscheinlich war sie von
dem Soldaten im Zelt auf Grund der Armbinde so zuvorkommend behandelt worden.
Ehe ich nach Hause ging, schaute ich noch in der
Fabrik vorbei, um dem Geschäftsführer, den ich in der Kantine fand, von dem
Stand der Kohlenversorgung zu berichten. Wohin man auch immer käme, erklärte
ich, stieße man auf eine Wand; man könne praktisch nichts tun.
Er blickte verzweifelt zur Decke. „Ich
verstehe“, sagte er. „So steht es also. Wir sitzen also fest, von welcher Ecke
wir es auch versuchen. Trotzdem, schönen Dank wenigstens für den Versuch.“
Ich erzählte ihm noch von der Kojin-Brigade und
erhielt die Erlaubnis, nach Onoura zu gehen, danach machte ich mich auf den
Fleimweg.
Shigeko und Yasuko waren schon mit dem Abendbrot
fertig und hatten das Moskitonetz aufgespannt; sie saßen auf der Veranda und genossen
die Kühle des Abends. Mein Essen stand auf einem kleinen Extratisch unter dem
Moskitonetz. Offensichtlich sollte alles kühl und angenehm wirken, und trotzdem
würgte es mich im Halse, Unsere beiden Besucher vom Lande waren, wie sie mir
erzählten, schon vormittags mit dem Zug nach Hause gefahren.
Heute morgen wurde ich
durch Schmerzen in den Zehen beider Füße wach. Es war ein quälender Schmerz
ohne eine sichtbare äußerliche Verletzung, nicht ein in Abständen
wiederkehrendes Pochen oder Reißen, sondern ein pausenloser Schmerz auf beiden
Seiten, als ob die Füße in einem Folterinstrument steckten.
„Ich habe gehört, für Leute, die durch die Bombe
geschädigt wurden, soll Moxibustion gut sein“, sagte Shigeko. „Wir können’s
doch mal versuchen. Ich gehe mal los; vielleicht finde ich jemanden, der mir
ein paar Moxablätter gibt.“
Sie ging, ohne die vorgeschriebenen
Baumwollhosen und die Luftschutzkapuze übergezogen zu haben; es dauerte mehr
als zwei Stunden, ehe sie zurückkam. Sie hatte es überall versucht und schließlich
auf einem Bauernhof vor der Stadt im Tausch gegen ein neues Handtuch etwas Moxa
erstanden. Es war in einer Tüte mit einem aufgedruckten Bild vom Gott der
Landwirtschaft, der ein Blatt zwischen den Zähnen hielt.
Um Schmerzen in den Füßen zu vertreiben, soll
man ein kleines Häufchen Moxablätter auf der Stelle verbrennen, die als Sanri
bezeichnet wird. Aber weder ich und noch viel weniger Shigeko und Yasuko wußten
genau, wo die Sanri-Stelle liegt, und so ging Shigeko erst einmal, um den alten
Vater des Hauswirts zu fragen.
„Sanri“, verkündete sie bei ihrer Rückkehr, „ist
die äußere Delle direkt unterhalb der Kniescheibe. Hier!“ Und da sie keine
Arbeitshosen trug, raffte sie ihren Rock hoch — unnötig hoch, fand ich — , um mir die Stelle zu zeigen. Ich hielt ihr Benehmen für
ziemlich anstößig. Gleichzeitig erinnerte mich diese Reaktion an etwas, das ich
in der Sammelstelle gehört hatte. Tamotsu und Rikuo hatten behauptet, die durch
die Bombe Verletzten, auch wenn es sich nur um ganz leichte Fälle handelte,
hätten jegliches Interesse an Sex verloren. Meine „Verletzungen“ bestanden
lediglich in einer Verbrennung auf der Wange, trotzdem fragte ich mich, ob ich
eben in dem Moment ein sexuelles Verlangen verspürt hatte, und mußte mit einem
unangenehmen Gefühl feststellen, daß auch ich von der Bombe vergiftet war.
Ich nahm die Behandlung mit dem Moxa an der bezeichneten
Stelle selbst vor und zwang mich dann trotz der Schmerzen in den Zehen zum
Aufstehen. Ich stöhnte laut, was mir einige Erleichterung verschaffte. Zur
Toilette zu gehen war ein größeres Unterfangen. Als ich mich dann fertig
angezogen hatte, frühstückte ich, auf der Treppenstufe im Vorraum sitzend. Es
war ein spätes Frühstück. Erst nach zehn brach ich endlich auf.
Glücklicherweise hatte der Schmerz in den Zehen
nachgelassen, als ich in Onoura ankam. Er schien leichter zu ertragen, wenn man
sich hinlegte oder umherlief.
In Onoura stellte ich fest, daß die Volksschule
als Aufnahmestation für Verletzte — Armeeangehörige und Zivilbevölkerung
gleichermaßen — benutzt wurde. Auf meinem Weg vom Bahnhof zur Aufnahmestation
begeg-nete ich einer hübschen Frau von
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