Schwarzer Regen
Tätigkeit in Hiroshima war es mir zur
Gewohnheit geworden, auf dem Heimweg zum Bonfest und zum Neujahrsfest im
Kagami-Gasthaus Zwischenstation zu machen. Teiko besorgte so manches für mich;
ich benutzte das Telefon im Gasthaus, hinterließ Nachrichten für Freunde,
stellte mein Gepäck bei ihr unter und anderes mehr.
Letztes Neujahr erst litt ich unter sehr
schmerzhaften Hämorrhoiden und blieb über Nacht im Gasthaus. Teiko kannte einen
Arzt, der die hartnäckigsten Fälle kurieren konnte, und schrieb mir eine
Empfehlung für die Hosokawa-Klinik im Dorf Yuda. Sie telefonierte sogar
persönlich mit dem Chef der Klinik und meldete mich an. Ich führte ein
Ferngespräch mit dem Betrieb, bekam vom Geschäftsführer die Erlaubnis, mir ein
paar Tage frei zu nehmen, und ging in die Klinik. Es dauerte über zwei Wochen,
ehe man mich völlig wiederhergestellt hatte. Teiko war damals zur
Hosokawa-Klinik gegangen, um zu sehen, wie es mir ginge, erfuhr ich gestern von
ihr, und hatte dabei feststellen müssen, daß ich bereits ein paar Tage vorher
entlassen worden war.
Ich fühlte mich irgendwie schuldig. „Es tut mir
wirklich leid“, sagte ich.
„Nicht doch“, meinte sie. „Ich war sowieso auf
dem Weg zu meinem Schwager, wollte Reis schwarz kaufen... Wie dem auch sei,
aber daß ich dich heute und hier treffen würde!“
Wie so viele andere wollte Teiko in den Trümmern
von Hiroshima nach Überlebenden suchen. Ihr Schwager war im Frühling als
Reservist eingezogen worden und hatte in der Küche des Lazaretts der Zweiten
Armee gearbeitet. Aber sie hatten seit dem Bombenabwurf nichts mehr von ihm
gehört. Er schien also auch umgekommen zu sein. Seine Frau lag zu Hause in Yuda
im Bett — hatte sich ein paar Tage zuvor den Knöchel verstaucht, als sie
unterwegs war, um für die Armee Kiefern wurzeln zu roden; da lag sie nun und
weinte den ganzen Tag. Die Mutter des Schwagers redete zwar viel, war aber zu
alt, um außerhalb des Hauses mit Hand anzulegen. So hatte Teiko sich
schließlich auf den Weg gemacht, um sich beim Chefarzt der Hosokawa-Klinik Rat
zu holen.
Dr. Hosokawa hatte einen Schwager namens Iwatake,
den man gerade erst zum Dienst im Lazarett der Zweiten Armee eingezogen hatte.
Als Arzt war er nicht in der Küche, sondern beim Sanitätspersonal eingestellt
worden, und zwar bei den sogenannten Zwangsrekrutierten. Daraus folgerte Teiko,
daß er in der gleichen Kaserne gelegen haben mußte wie ihr Schwager. Wie mochte
es ihm beim Angriff ergangen sein. Es gab auch noch einen Neffen von Herrn
Iwatake, der die Erste Mittelschule von Hiroshima besucht hatte; sicher machten
sie sich auch Sorgen um das Schicksal des Jungen. Teiko wollte wissen, was man
in der Hosokawa-Klinik unternehmen würde. So suchte sie schließlich den
Chefarzt auf, teils um sich nach dem Verbleib seiner Angehörigen zu erkundigen,
teils um sich raten zu lassen, was sie wegen ihrer Verwandten tun sollte.
„Ich weiß es einfach nicht — es ist furchtbar“,
hatte er zu ihr gesagt. „Ich versuche mich mit dem Gedanken abzufinden, daß von
meinem Schwager und meinem Neffen nur Knochen übriggeblieben sind. Es ist
gräßlich, aber man kann praktisch nichts tun und muß den Tatsachen ins Gesicht
sehen. Ich habe auch meiner Schwester zugeredet, sich damit abzufinden; aber
das ist nicht so leicht, wenn man mit einem Menschen verheiratet oder wenn er
unser eigen Fleisch und Blut war. Unter Tränen machte sie sich auf den Weg nach
Hiroshima. Ich habe sie bis Fukuyama begleitet. Das war am Morgen des Neunten.
Zwei Tage sind vergangen, aber ich habe nicht
mal ein Telegramm oder sonst eine Nachricht... Post und Fernmeldewesen sind in
den heutigen Zeiten für uns Zivilisten kaum vorhanden. Mit den Zeitungen ist
das genauso — man glaubt, sie werden jeden Tag gedruckt, aber immer, wenn man
zum Händler geht, sind sie noch nicht gekommen. Fünf oder sechs Tage lang gibt
es keine einzige Zeitung — und dann am siebenten Tag bekommt man unter
Umständen die Ausgaben der ganzen Woche in einem Packen. Ein Patient, den ich
gestern behandelt habe, jammerte, weil er schon seit drei Wochen von niemandem
auch nur eine Karte bekommen hatte. Er erzählte, sein Hauswirt ginge heimlich
Weißfische angeln, um bei der Krankenkost auszuhelfen, und er hätte darüber
geklagt, daß selbst die Maden der Schmeißfliegen, die er als Köder benutzte,
unterernährt seien in diesen Zeiten. Nichts als Chaos, wohin man sieht, meinte
er... Es heißt, bei dem neuen Bombentyp, den
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