Schwarzer Regen
Gesichtern, in die sie
Löcher für Nase, Mund und Augen geschnitten hatten, Soldaten auf den Sitzen
neben den Fahrern. Ihnen wurde schwach in den Beinen, und sie blieben eine
Weile wie angewurzelt stehen.
Frau Oshima brachte mich zur Schule und sagte:
„Ich werde Sie dem Sanitätsarzt dort drüben vorstellen. Er ist sehr hilfsbereit
und an seiner Arbeit interessiert.“ Sie machte mich mit Leutnant Kato bekannt,
der am Eingang des Lehrerzimmers stand. Seinem sympathischen Gesichtsausdruck
nach zu urteilen, war er nicht der Mann, der sich mit Belanglosigkeiten
aufhielt. Ich glaubte, ich würde gut mit ihm auskommen. Aber er ließ mich gar
nicht erst zu Worte kommen.
„Vorläufig“, erklärte er, „ist dieses Lazarett
keine Volksschule, sondern eine Zweigstelle des Armeehospitals. Wie die Dinge
liegen, beherbergen wir zur Zeit Patienten aus der
Armee und der Zivilbevölkerung, aber ich wäre dankbar, wenn sich die
Ortsansässigen nicht in die Unterbringung der Patienten einmischten. Ihnen
persönlich mißtraue ich nicht, aber es ist wahrscheinlich ein Gerücht der
Einwohner, daß Unterlagen von dieser Sammelstelle zur anderen Station in
Nagao-cho geschickt worden sind. Da bin ich wirklich ziemlich sicher, also
vergessen wir es lieber. Ich möchte noch einmal mit allem Nachdruck erklären,
dieses Lazarett untersteht der Armee.“
Ich konnte mich nicht des Eindrucks erwehren,
daß er mit Worten spielte, gab es aber ohne weiteres Argumentieren auf und
fragte nur noch, ob ich die Patienten von der Kojin-Brigade wenigstens einmal
sehen dürfte. Er unterbrach mich von neuem. Es wäre gefährlich, den
Schwerverwundeten nahe zu kommen, warnte er mich, da sie eine Hitze mit
irgendeinem giftigen Element ausstrahlten. Es gäbe im Hospital immer wieder
Fälle, wo Gesunde, die nach den Kranken sehen wollten, sich an dem Gift
infizierten und vor den eigentlichen Patienten starben. Je aktiver man wäre und
je geschäftiger man umhereilte, desto eher würde man von dem Gift betroffen.
Einmal wäre sogar jemand gekommen, um einen leicht verwundeten Zivilisten nach
Hause zu holen, und er sei dann selbst krank geworden und hätte auf dem Heimweg
Hilfe suchen müssen. (Später hörte ich, daß Leutnant Kato, nach Kriegsende in
seine Heimat in der Präfektur Tottori zurückgekehrt, selbst gestorben war, wie
es hieß, an der gleichen Krankheit — er hatte mit zu vielen Opfern der Bombe
Kontakt gehabt.)
Der Leutnant muß besonders schlechter Laune gewesen
sein. Vielleicht wollte er auch einen einfachen Zivilisten nicht sehen lassen,
wie chaotisch die Zustände in einem Militärhospital sein konnten.
Da ich einsah, daß alle meine Worte ohne Wirkung
blieben, kehrte ich nach Hiroshima zurück und berichtete über das, was sich im
Hauptlazarett für die Kojin-Bri-gade zugetragen hatte. Es war ein klassischer
Fall, sich viel Arbeit für nichts und wieder nichts zu machen. Aber ich freute
mich so Sehr, die Schmerzen in meinen Zehen verloren zu haben, daß ich mich nicht
weiter darum kümmerte.
Zu Hause behandelte ich mich noch einmal mit
Moxa am Knie. Es war reines Glück, daß der Schmerz in den Füßen auf dem Weg
nach Onoura nachgelassen hatte, aber im Hilfslazarett erzählten mir Rikuo und
Masaru, sie hätten es seit gestern auch mit der Moxibustion probiert,
gewissermaßen als Zaubermittel gegen die Bombenkrankheit. Tamotsu als
Sanitätsfeldwebel bezweifelte allerdings sehr, ob sich ein Mitglied des
Sanitätstrupps so bedenkenlos mit der Moxibustion abgeben durfte. Er hielt es
für besser, einen Experten heranzuschaffen, der ihnen die richtige
Behandlungsweise erklären könnte, damit die anderen dann auch etwas davon
hätten.
(Mir ist inzwischen bekannt geworden, daß sich
die Zahl der von der Strahlenkrankheit befallenen Personen, die vom 6. August,
5 Uhr nachmittags, bis zum 2. September, einem Zeitraum von 27 Tagen, in der
Volksschule in Onoura Aufnahme fanden, auf 1246 belief. Sie wurden in 16
Klassenräumen von einer durchschnittlichen Größe von 65 Quadratmetern untergebracht,
das heißt auf insgesamt etwas über tausend Quadratmetern. Ihre Behandlung lag
in den Händen von 4 Zivil- und 7 Militärärzten. Täglich arbeiteten etwa 25
Schwestern und 70 freiwillige Helfer in 4 Schichten. Ungefähr 250 Tote wurden
eingeäschert. Nicht abgeholte Urnen kamen nach Hiroshima. Diese Zahlen sind den
Berichten der Bürgermeisterei von Onoura entnommen. Damals hatte man die Opfer
der Bombe im ganzen Gebiet von Hiroshima in
Weitere Kostenlose Bücher