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Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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Saint-Martin.«
    Als Servaz herauskam, staunte er, wie viele Journalisten da waren. Wenn ein Mensch ermordet worden wäre, wäre das verständlich gewesen, aber für ein totes Pferd! Die kleinen privaten Unannehmlichkeiten eines Milliardärs wie Eric Lombard schienen zu einem Thema geworden zu sein, für das sich die Klatschpresse interessierte wie ihre Leser.
    Beim Gehen gab er sich größte Mühe, zu verhindern, dass seine Schuhe durch den Schneematsch beschmutzt wurden, und wieder spürte er, dass ihn Capitaine Ziegler dabei genau beobachtete.
    Und dann, plötzlich, sah er es.
    Wie eine Vision der Hölle … einer Hölle aus Eis …
    Trotz seines Widerwillens zwang er sich dazu, hinzusehen. Der Pferdekadaver war mit breiten Tragegurten an einem großen Palettenwagen für Schwerlasten befestigt, der über einen kleinen Motor und pneumatische Hebeböcke verfügte. So eine Hebebühne, sagte sich Servaz, hatten vielleicht auch die benutzt, die das Tier dort oben aufgehängt hatten … Sie stiegen gerade aus der Kabine aus. Servaz fiel auf, dass sie geräumig war. Er dachte wieder an die Erschütterungen eben. Wie war es möglich, dass die Wachleute nichts bemerkt hatten?
    Jetzt wandte er seine Aufmerksamkeit widerwillig dem Pferd zu. Er verstand nichts von Pferden, aber dieses hier schien ihm sehr schön gewesen zu sein. Sein langer Schweif bestand aus einem Büschel glänzender schwarzer Haare, dunkler als sein Fell, das die Farbe von Röstkaffee hatte und kirschrot schimmerte. Das prächtige Tier schien aus einem glatten, polierten exotischen Holz geschnitzt zu sein. Die Beine waren genauso kohlschwarz wie der Schweif und das, was von seiner Mähne übrig war. Eine Unmenge von Eisklümpchen hüllte den Kadaver in ein weißes Gewand. Servaz schätzte, dass es dort oben noch um einige Grad kälter sein musste als hier unten, wo die Temperatur bereits unter null gesunken war. Vielleicht hatten die Gendarmen einen Schneidbrenner oder einen Lötkolben benutzt, um das Eis um die Bänder zum Schmelzen zu bringen. Abgesehen davon war das Pferd nur noch eine riesige offene Wunde – und zwei große abgelöste Hautlappen hingen wie angelegte Flügel an den Flanken herab.
    Schwindelerregendes Entsetzen hatte die Umstehenden gepackt.
    Da, wo die Haut abgezogen worden war, trat das Fleisch nackt hervor – jeder einzelne Muskel war deutlich zu erkennen, wie auf einer anatomischen Zeichnung. Servaz warf einen flüchtigen Blick in die Runde: Ziegler und Cathy d’Humières waren kreidebleich; der Kraftwerksdirektor sah aus, als hätte er ein Gespenst gesehen. Servaz selbst fand den Anblick unerträglich. Mit Bestürzung wurde ihm klar, dass er sich an den Anblick menschlichen Leids so sehr gewöhnt hatte, dass ihn das Leid eines Tieres stärker erschütterte und aufwühlte.
    Und dann war da der Kopf. Oder vielmehr sein Fehlen, mit der großen offenen Wunde am Hals. Diese Verstümmelung verlieh der Gestalt etwas Unheimliches, das kaum zu ertragen war. Wie ein Kunstwerk, das den Wahnsinn seines Schöpfers hinausschrie. Tatsächlich war dies unbestreitbar das Werk eines Verrückten – und unwillkürlich musste Servaz wieder an das Institut Wargnier denken: Die Verbindung drängte sich geradezu auf, auch wenn der Direktor versicherte, dass keiner der Insassen habe ausbrechen können.
    Instinktiv räumte er ein, dass die Besorgnis von Cathy d’Humières begründet war: Hier ging es nicht bloß um die Tötung eines Pferdes, sondern die Art und Weise, wie das Pferd umgebracht worden war, jagte einem kalte Schauer über den Rücken.
    Beim Geräusch eines Motors drehten sie sich jäh um.
    Ein großer schwarzer Geländewagen tauchte plötzlich auf der Straße auf und hielt wenige Meter von ihnen entfernt. Alle Kameras richteten sich sofort auf ihn. Wahrscheinlich hatten die Journalisten gehofft, es wäre Eric Lombard, aber sie sollten sich zu früh gefreut haben: Der Mann, der aus dem japanischen Allradwagen mit getönten Scheiben ausstieg, war um die sechzig Jahre alt und hatte stahlgraues Bürstenhaar. Mit seiner Größe und seinen breiten Schultern glich er einem Soldaten oder einem Holzfäller im Ruhestand. An einen Holzfäller erinnerte auch sein kariertes Hemd. Die Ärmel waren über den kräftigen Unterarmen hochgekrempelt – die Kälte schien er nicht zu spüren. Servaz sah, dass er den Kadaver nicht aus den Augen ließ. Selbst ihre Anwesenheit schien er nicht zu bemerken, und mit schnellen Schritten machte er einen Bogen

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