Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
Vom Netzwerk:
junge Frau ohne Komplexe. Er musste an Alexandra denken, als sie jung war.
    »Vor oder nach der Vernehmung der Wachleute?«
    »Davor.«
    »Ich bringe Sie hin.«
    »Das schaffe ich alleine«, sagte er und deutete auf die Talstation der Seilbahn.
    Sie machte eine vage Geste.
    »Es ist das erste Mal, dass ich einem Polizisten begegne, der Lateinisch spricht«, sagte sie lächelnd. »Die Seilbahn wurde versiegelt. Wir nehmen den Hubschrauber.«
    Servaz wurde bleich.
    »Und Sie fliegen ihn?«
    »Überrascht Sie das?«

3
    W ie eine Stechmücke, die den Rücken eines Elefanten überfliegen will, setzte der Hubschrauber zum Sturm auf den Berg an. Das große Schieferdach des Kraftwerks und der mit Autos vollbesetzte Parkplatz entfernten sich jäh – zu schnell für den Geschmack von Servaz, der ein flaues Gefühl im Magen verspürte.
    Tief unter dem Hubschrauber sah man die Techniker in weißen Overalls geschäftig zwischen der Talstation und dem Laborwagen hin und her eilen. Sie trugen kleine Koffer, in denen sich die Proben befanden, die sie in der Bergstation entnommen hatten. Von hier oben gesehen, wirkte ihre Geschäftigkeit lächerlich: das Gewimmel einer Kolonne Ameisen. Er hoffte, dass sie ihre Arbeit verstanden. Das war nicht immer der Fall, die Ausbildung der Kriminaltechniker ließ manchmal zu wünschen übrig. Zu wenig Zeit, zu wenige Mittel, unzureichende Budgets – immer die alte Leier, und das trotz aller politischen Reden, in denen regelmäßig bessere Zeiten versprochen wurden. Dann wurde der Pferdekadaver in eine Schutzhülle gepackt, der Reißverschluss zugezogen und alles auf einer großen Bahre zu einem langen Rettungswagen gerollt, der mit heulender Sirene davonfuhr, als hätte es dieser arme Gaul noch in irgendeiner Weise eilig.
    Durch die gewölbte Plexiglasscheibe blickte Servaz geradeaus.
    Es hatte aufgeklart. Die drei gigantischen Röhren, die an der Rückseite des Gebäudes entsprangen, kletterten die Flanke des Berges hinauf; die Seilbahnstützen verliefen gleich daneben. Er wagte einen weiteren Blick nach unten – und bereute ihn sogleich. Das Kraftwerk lag bereits tief unter ihnen, wie eingesunken in den Talgrund, die Autos und Kastenwagen wurden schnell immer kleiner, lächerliche bunte Pünktchen, die von der Höhe angesaugt wurden. Die Röhren stürzten ins Tal wie Skispringer von einer Sprungschanze: eine schwindelerregende, atemberaubende Kulisse aus Fels und Eis. Servaz wurde bleich, schluckte und konzentrierte sich auf den Kamm des Massivs. Der Kaffee, den er am Automaten in der Eingangshalle des Kraftwerks hinuntergekippt hatte, schwappte irgendwo in seiner Speiseröhre.
    »Sie sehen nicht besonders gut aus.«
    »Kein Problem. Alles in Ordnung.«
    »Ist Ihnen schwindlig?«
    »Nein …«
    Capitaine Ziegler lächelte unter ihrem Pilotenhelm. Hinter ihrer Sonnenbrille konnte Servaz ihre Augen nicht mehr sehen – aber er konnte ihre Bräune und den leichten blonden Flaum ihrer Wangen bewundern, die vom grellen Licht auf den Gebirgskämmen liebkost wurden.
    »Dieser ganze Zirkus für ein Pferd«, sagte sie plötzlich.
    Ihm wurde klar, dass sie diesen massiven Einsatz ebenso wenig guthieß wie er und dass sie die momentane Abwesenheit indiskreter Ohren nutzte, um ihm das zu sagen. Er fragte sich, ob ihre Vorgesetzten ihr Druck gemacht hatten. Und ob sie sich gesträubt hatte.
    »Mögen Sie keine Pferde?«, fragte er zum Scherz.
    »Ich mag sie sehr«, antwortete sie, ohne zu lächeln, »aber das ist nicht das Problem. Wir haben die gleichen Sorgen wie Sie: unzureichende Mittel, fehlendes Material und Personalmangel – und die Kriminellen sind uns immer um zwei Längen voraus. Wenn man dann so viel Energie auf ein Tier verwendet …«
    »Andererseits – jemand, der imstande ist, einem Pferd so etwas anzutun …«
    »Ja«, räumte sie mit einer Lebhaftigkeit ein, die ihm sagte, dass sie seine Besorgnis teilte.
    »Was genau ist dort oben eigentlich passiert?«
    »Sehen Sie die metallene Plattform?«
    »Ja.«
    »Das ist die Bergstation der Seilbahn. An dem Metallrahmen, direkt unter den Seilen, hing das Pferd. Eine richtige Inszenierung. Sie werden das auf dem Video sehen. Aus der Ferne dachten die Arbeiter zuerst, es wäre ein Vogel.«
    »Wie viele Arbeiter waren das?«
    »Vier und der Koch. Von der oberen Plattform der Seilbahn aus kommen sie zum Einstiegsschacht in die unterirdische Anlage: Das ist dieses Betonteil hinter der Plattform. Mit Hilfe eines Krans lassen sie das

Weitere Kostenlose Bücher