Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
Vom Netzwerk:
um ihre kleine Gruppe und ging auf das Tier zu. Servaz sah nun, wie seine breiten Schultern durchsackten.
    Als der Mann sich zu ihnen umwandte, glänzten seine roten Augen – vor Schmerz, aber auch vor Wut.
    »Welcher Mistkerl hat das getan?«
    »Sind Sie André Marchand, der Verwalter von Monsieur Lombard?«, fragte Ziegler.
    »Ja.«
    »Erkennen Sie dieses Tier wieder?«
    »Ja, es ist Freedom.«
    »Sind Sie sicher?«, fragte Servaz.
    »Ja, natürlich.«
    »Könnten Sie das etwas genauer erläutern? Schließlich fehlt der Kopf!«
    Der Mann warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Anschließend zuckte er mit den Schultern und drehte sich nach dem Kadaver um.
    »Glauben Sie, dass es in dieser Gegend viele rotbraune Jährlinge wie ihn gibt? Ich erkenne ihn so leicht wieder wie Sie Ihren Bruder oder Ihre Schwester. Mit Kopf oder ohne.« Er deutete mit einem Finger auf den linken Vorderlauf. »Nehmen Sie zum Beispiel diese Krone auf halber Fesselhöhe.«
    »Was für eine Krone, bitte?«, fragte Servaz.
    »Das weiße Band über dem Huf«, übersetzte Ziegler. »Danke, Monsieur Marchand. Wir werden den Kadaver ins Gestüt von Tarbes bringen, wo er obduziert wird. Hat Freedom irgendwelche Medikamente bekommen?«
    Servaz traute seinen Ohren nicht: Sie würden bei einem Pferd eine toxikologische Analyse durchführen!
    »Er war vollkommen gesund.«
    »Haben Sie seine Papiere dabei?«
    »Sie sind im Wagen.«
    Der Verwalter ging zu seinem Auto, durchsuchte das Handschuhfach und kehrte mit einem Stoß Blätter zurück.
    »Hier sind die Eigentumsurkunde und der Pferdepass.«
    Ziegler prüfte die Dokumente. Servaz sah über ihre Schulter einen ganzen Haufen von Rubriken, Feldern und Kästchen, die mit einer engen, klaren Handschrift ausgefüllt worden waren. Und Skizzen von Pferden, von vorn und von der Seite.
    »Monsieur Lombard hat dieses Pferd geradezu vergöttert«, sagte Marchand. »Es war sein Lieblingspferd. Es wurde auf dem Gestüt geboren. Ein herrlicher Jährling.«
    In seiner Stimme schwangen Wut und Trauer mit.
    »Ein
Jährling?
«, flüsterte Servaz Ziegler zu.
    »Ein Vollblut in seinem ersten Lebensjahr.«
    Während sie die Dokumente studierte, konnte er nicht umhin, ihr Profil zu bewundern. Sie war verführerisch, und sie strahlte Autorität und Kompetenz aus. Er schätzte sie auf dreißig. Sie trug keinen Trauring. Servaz fragte sich, ob sie einen Freund hatte oder Single war. Wenn sie nicht geschieden war wie er selbst.
    »Sie haben seinen Stall also heute Morgen leer vorgefunden«, sagte er zu dem Pferdehalter.
    Wieder warf ihm Marchand einen durchdringenden Blick zu, in dem die ganze Verachtung des Fachmanns für den Laien aufschien.
    »Keineswegs. Keines unserer Pferde schläft in einem Stall«, erwiderte er scharf. »Alle haben eine eigene Box mit einem kleinen Auslauf oder Wiesen mit Unterständen, tagsüber, es sind ja gesellige Tiere. Seine Box war tatsächlich leer. Und ich habe Spuren entdeckt, die auf einen Einbruch hindeuten.«
    Servaz kannte nicht den Unterschied zwischen einem Stall und einer Box, auf den Marchand so großen Wert zu legen schien.
    »Ich hoffe, dass Sie die Mistkerle fassen, die das getan haben«, sagte Marchand.
    »Wieso sprechen Sie von mehreren?«
    »Glauben Sie denn im Ernst, dass ein Mann allein ein Pferd da hochschaffen kann? Ich dachte, das Kraftwerk würde bewacht?«
    Das war eine Frage, auf die niemand antworten wollte. Cathy d’Humières, die sich bis jetzt abseits gehalten hatte, ging auf den Verwalter zu.
    »Richten Sie Monsieur Lombard aus, dass wir nichts unversucht lassen werden, um den oder die Täter aufzuspüren. Er kann mich jederzeit anrufen. Sagen Sie ihm das.«
    Marchand betrachtete die hohe Beamtin, als wäre er ein Ethnologe, vor dem die Vertreterin eines höchst fremdartigen Amazonasstammes stehen würde.
    »Ich werde es ihm ausrichten«, antwortete er. »Ich würde nach der Autopsie auch gern den Kadaver abholen. Monsieur Lombard möchte das Pferd bestimmt auf seinem Grund bestatten.«
    »Tarde venientibus ossa«,
verkündete Servaz.
    Er entdeckte einen Anflug von Verblüffung im Blick von Capitaine Ziegler.
    »Lateinisch«, stellte sie fest. »Und was bedeutet es?«
    »›Wer zu spät zu Tisch kommt, findet nur noch Knochen.‹ Ich würde gern hinauffahren.«
    Sie schaute ihm fest in die Augen. Sie war fast genauso groß wie er. Servaz erahnte, dass sich unter der Uniform ein straffer, geschmeidiger und muskulöser Körper versteckte. Eine vitale, attraktive

Weitere Kostenlose Bücher