Schwarzer Schmetterling
schien ganz hübsch zu sein, und er hatte sein Haar mit extrastarkem Gel zu einer Art Turmfrisur aufgerichtet. Er setzte seinen Helm wieder auf und hielt Margot einen zweiten Helm hin. War das der kleine Mistkerl, der sie schlug und ihr das Herz brach? Der Motorroller fuhr wieder los. Espérandieu scherte aus, um die Verfolgung aufzunehmen. Der Junge fuhr schnell – und gefährlich. Er fädelte sich zwischen den Autos durch, fuhr mit seiner Maschine rasant im Zickzack, und gleichzeitig wandte er den Kopf um und schrie, damit ihn seine Beifahrerin verstand.
Früher oder später wird sich die Wirklichkeit bei dir auf gehässige Weise in Erinnerung bringen, Amigo …
Zweimal dachte Espérandieu, er hätte ihn verloren, aber ein Stück weiter holte er ihn wieder ein. Er wollte nicht das Blaulicht einschalten; erstens, um nicht aufzufallen, und zweitens, weil es sich ja nur um einen inoffiziellen Freundschaftsdienst handelte.
Endlich blieb der Motorroller vor einer Villa stehen, die von einem Garten und einer dichten, hohen Hecke umgeben war. Espérandieu erkannte die Adresse sofort wieder: Er war bereits zusammen mit Servaz hier gewesen. Hier wohnten Alexandra, die Ex-Frau von Martin, und ihr bescheuerter Pilot.
Und daher auch Margot.
Sie stieg von dem Motorroller ab und nahm ihren Helm ab. Die beiden jungen Leute unterhielten sich kurz in aller Ruhe – sie am Rand des Gehsteigs, er auf seiner Maschine sitzend, und Espérandieu sagte sich, dass sie ihn noch entdecken würden: Er parkte in der menschenleeren Straße keine fünf Meter von den Jugendlichen entfernt. Zu seinem Glück waren sie viel zu sehr in ihr Gespräch vertieft. Espérandieu bemerkte, dass alles vollkommen ruhig verlief. Keine Schreie, keine Drohungen. Im Gegenteil, lautes Lachen und verständnisinniges Kopfnicken.
Und wenn sich Martin geirrt hatte?
Vielleicht hatte ihn sein Beruf paranoid gemacht. Dann beugte sich Martins Tochter vor und küsste ihren Fahrer auf beide Wangen. Der ließ den Motor seines Rollers so ungestüm knattern, dass Espérandieu am liebsten ausgestiegen wäre, um ihn zu verwarnen. Dann verschwand er.
Mist! Der Falsche!
Eine Stunde völlig sinnlos vergeudet! Insgeheim verfluchte Vincent seinen Chef, drehte um und fuhr wieder zurück.
Servaz betrachete die dunkle Fassade zwischen den Bäumen. Weiß, imposant, hoch, mit kunstvoll gearbeiteten Holzbalkonen und Fensterläden im Chaletstil auf allen Stockwerken. Ein Giebeldach, das von einem Zacken und einem hölzernen Dreieck unter dem Dachvorsprung abgeschlossen wurde. Typische Gebirgsarchitektur. Das Haus stand im Schatten hoher Bäume an der höchsten Stelle des abschüssigen Gartens und erhielt in diesem Wohnviertel kein Licht von der Straße. Es hatte etwas auf subtile Weise Bedrohliches. Oder bildete er sich das nur ein? Er erinnerte sich an einen Satz aus
Der Untergang des Hauses
Usher:
»Ich weiß nicht, wie es kam – aber ich wurde gleich beim ersten Anblick dieser Mauern von einem unerträglich trüben Gefühl befallen.«
Er wandte sich an Irène Ziegler.
»Geht Confiant noch immer nicht ans Telefon?«
Ziegler steckte ihr Handy wieder in die Tasche und schüttelte den Kopf. Servaz drückte das verrostete Tor auf, das in seinen Angeln quietschte. Sie gingen den Fußweg hinauf. Ein paar Fußspuren im Schnee, niemand hatte sich die Mühe gemacht, den Weg zu räumen. Servaz erklomm die Stufen zur Haustür. Unter dem gläsernen Vordach drückte er die Klinke herunter. Verschlossen. Keinerlei Licht von innen. Er wandte sich um: Unten erstreckte sich das Dorf; die Weihnachtsbeleuchtung pulsierte wie das lebendige Herz des Tals. Das ferne Geräusch von Autos und Hupen – aber hier war alles sehr still. In diesem alten, hoch über dem Tal gelegenen Wohnviertel herrschten der unermessliche Trübsinn und die erdrückende Stille des zurückgezogenen bürgerlichen Lebensstils. Auf der Treppe gesellte sich Ziegler zu ihm.
»Was machen wir?«
Servaz sah sich um. Zu beiden Seiten der Treppe ruhte das Haus auf einem Sockel aus kieseligem Kalkstein, der von zwei Kellerfenstern durchbrochen war. Beide waren mit einem Eisengitter gesichert, da kam man nicht hinein. Aber die Läden der beiden großen Fenster im Erdgeschoss standen offen. In einer Gartenecke, hinter einem Busch, sah er einen hölzernen Geräteschuppen. Er stieg die Stufen wieder hinunter und ging hinüber. Kein Vorhängeschloss. Er öffnete die Tür des Schuppens. Ein Geruch von umgegrabener Erde. Im
Weitere Kostenlose Bücher