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Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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Mal sah Servaz ein Laufband, in dem die Flaschen zunächst gespült wurden, ehe sie zu den Füllzapfen weitergeleitet wurden. Von dort wanderten sie zu den Automaten, die sie zustöpselten und etikettierten, ohne dass sie von einer Menschenhand berührt wurden. Die Arbeiter überwachten nur die einzelnen Schritte. Sie stiegen die Eisentreppe hoch, die zu dem schalldichten, vollverglasten Direktionszimmer führte. Da saß derselbe stoppelbärtige, dickleibige Mann mit struppigen Haaren, der Servaz schon beim letzten Mal empfangen hatte, und knackte Pistazien. Als sie den Raum betraten, sah er sie argwöhnisch an.
    »Irgendetwas stimmt nicht«, sagte er und spuckte eine Schale in den Korb. »Roland ist nicht in die Fabrik gekommen, weder gestern noch heute. Es ist nicht seine Art, einfach fortzubleiben, ohne Bescheid zu geben. Nach allem, was passiert ist, verstehe ich nicht, wieso es auf den Straßen nicht mehr Polizeisperren gibt. Worauf warten Sie? Wenn ich Polizist wäre …«
    Ziegler hatte wegen des Schweißgeruchs, der in dem gläsernen Kabuff herrschte, kurz die Nase gerümpft. Sie betrachtete die großen dunklen Schweißflecken, die unter den Achseln in dem blauen Hemd des Mannes prangten.
    »Sie sind aber keiner«, antwortete sie schneidend. »Und ansonsten haben Sie keine Idee, wo er stecken könnte?«
    Der korpulente Mann sah sie vernichtend an. Servaz musste unwillkürlich lächeln. Einige Leute hier – darunter auch dieser Mann – waren der Meinung, die Einwohner der Stadt könnten sich nicht vernünftig verhalten.
    »Nein. Roland war keiner, der sich über sein Privatleben ausbreitet. Vor einigen Monaten haben wir von heute auf morgen erfahren, dass er sich scheiden lässt. Er hat uns nie von den Schwierigkeiten in seiner Ehe erzählt.«
    »›Die Schwierigkeiten in seiner Ehe‹«, wiederholte Ziegler in einem unverhohlen sarkastischen Tonfall. Sehr schön gesagt.
     
    »Wir fahren zu ihm nach Hause«, sagte Servaz, als er wieder ins Auto stieg. »Wenn er nicht dort ist, müssen wir das Haus auf den Kopf stellen. Ruf Confiant an und bitte ihn, einen Durchsuchungsbefehl auszustellen.«
    Ziegler nahm den Hörer des Autotelefons ab und wählte die Nummer.
    »Da geht niemand ran.«
    Servaz ließ die Straße für einen Moment aus den Augen. Mächtige Regen- oder Schneewolken trieben wie böse Omen über den Himmel – und es wurde allmählich dunkel.
    »Egal. Wir haben keine Zeit mehr. Dann geht es eben ohne.«
     
    Espérandieu hörte
The Stations
von den Gutter Twins, als Margot Servaz aus dem Gymnasium kam. Aus seinem unauffälligen Zivilfahrzeug heraus ließ er den Blick über die Jugendlichen schweifen, die aus dem Gebäude strömten. Er brauchte keine zehn Sekunden, um sie ausfindig zu machen. Zu einer Lederjacke und gestreiften Shorts trug Martins Tochter heute in ihrem schwarzen Haar violette Kunsthaarsträhnen, an ihren langen Beinen Netzstrümpfe und an den Fußknöcheln riesige Pelzgamaschen zur Schau, so dass man meinen könnte, sie ginge in Schneestiefeln ins Gymnasium. Sie stach aus der Menge heraus wie ein eingeborener Kopfjäger in einer städtischen Abendgesellschaft. Espérandieu dachte an Samira. Er versicherte sich, dass die Digitalkamera auf dem Beifahrersitz lag, und startete die Anwendung »Diktaphon« auf seinem iPhone, das in einer Endlosschleife das Album
Saturnalia
abspielte.
    »17 Uhr. Schulschluss. Unterhält sich mit Klassenkameradinnen.«
    Zehn Meter weiter lachte und plauderte Margot. Dann zog sie einen Tabaksbeutel aus ihrer Jacke.
Nicht gut,
dachte Espérandieu. Sie begann, sich eine Zigarette zu rollen, während sie den Äußerungen ihrer Nachbarinnen zuhörte.
Ganz schön geschickt gemacht,
stellte er fest.
Offensichtlich hast du Übung.
Plötzlich kam er sich selbst wie ein verdammter Voyeur vor, der vor der Schule auf goldige Miezchen lauerte.
Mist, Martin, du kotzt mich an!
Zwanzig Sekunden später hielt ein Motorroller vor der kleinen Gruppe.
    Espérandieu war sofort in Alarmbereitschaft.
    Er sah, wie der Fahrer seinen Helm abnahm und direkt mit der Tochter seines Chefs sprach. Diese warf ihre Zigarette auf den Gehsteig und zertrat sie mit dem Absatz. Dann schwang sie sich auf den Soziussitz des Motorrollers.
    Sieh an, sieh an …
»Fährt auf einem Motorroller mit einer siebzehn-/achtzehnjährigen Person weg. Schwarzes Haar. Nicht vom Gymnasium.«
    Espérandieu überlegte, ob er ein Foto machen sollte. Zu nah. Er lief Gefahr, sich zu verraten. Der Junge

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