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Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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Bücher, alte Fotos an den Wänden. Darauf Gebirgslandschaften, kleine Weiler in den Pyrenäen zu Anfang des 20 . Jahrhunderts, Straßen mit huttragenden Männern und Droschken. Servaz erinnerte sich, dass die Thermalbäder in den Pyrenäen einst die Creme der Pariser Kurgäste anlockten, wo sie zu den elegantesten Sommerfrischen im Gebirge gehörten, in einer Liga mit Chamonix, Sankt Moritz oder Davos.
    »Zuerst suchen wir Chaperon«, sagte er. »In der Hoffnung, dass er nicht irgendwo aufgeknüpft wurde. Anschließend durchsuchen wir alles.«
    »Und wonach suchen wir?«
    »Das wissen wir, wenn wir es gefunden haben.«
    Er verließ das Büro.
    Ein Gang.
    Eine Treppe am Ende.
    Er machte die Türen auf, eine nach der anderen. Wohnzimmer. Küche. Toiletten. Esszimmer.
    Ein alter Teppich, der von Stangen gehalten wurde, dämpfte seine Schritte auf der Treppe. Wie das Büro war auch das Treppenhaus mit hellem Holz getäfelt. An den Wänden hingen alte Eispickel, Steigeisen für Eisfelder, Lederschuhe, primitive Skier: alte Gerätschaften fürs Bergsteigen, alles aus der Pionierzeit. Servaz blieb stehen, um ein Foto zu betrachten: ein Bergsteiger am Gipfel eines Felssporns, der so gerade und schmal wie die Säule eines Styliten war. Er spürte, wie sich ihm der Magen zusammenschnürte. Wie machte dieser Mann das nur, so völlig schwindelfrei? Er stand da, am Rand eines Abgrunds, und er lächelte den Fotografen auf einer Erhebung gegenüber an, als wäre nichts. Dann erkannte er, dass der Bergsteiger, der den Gipfeln trotzte, niemand anderer war als Chaperon selbst. Auf einem anderen Foto baumelte er unter einem Überhang, in aller Ruhe in einem Klettergurt sitzend wie ein Vogel auf einem Ast, über einem mehrere hundert Meter tiefen Abgrund. Durch ein lächerlich dünnes Tau vor einem tödlichen Sturz bewahrt. Tief unten sah man schemenhaft ein Tal mit einem Fluss und Dörfern.
    Servaz hätte den Bürgermeister gern gefragt, wie man sich in einer solchen Situation fühlte. Und dann auch gleich, wie es sich anfühlte, von einem Mörder verfolgt zu werden. War es das gleiche Schwindelgefühl? Die ganze Hauseinrichtung war ein Tempel, der dem Gebirge und der Selbstüberwindung gewidmet war. Der Bürgermeister war unverkennbar nicht vom gleichen Schlag wie der Apotheker. Dieses Bild bestätigte den ersten Eindruck, den Servaz im Kraftwerk gehabt hatte: ein vierschrötiger Mann, aber hart wie Stein, ein Liebhaber von Natur und Bewegung, mit seiner weißen Löwenmähne und seinem ständig goldbraunen Teint.
    Dann sah er Chaperon auf der Brücke und im Auto vor sich: ein Typ in Todesangst, der völlig verzweifelt war. Und zwischen den beiden Bildern: die Ermordung des Apothekers. Servaz dachte nach. Die Tötung des Pferdes hatte ihn trotz ihrer Abscheulichkeit nicht in gleicher Weise erschüttert.
Warum?
Weil es nur ein Pferd war? Er setzte die Erkundung des Hauses fort, gehetzt von dem Gefühl, dass es eilte, ein Gefühl, das ihn seit dem Erlebnis in der Seilbahn beherrschte. Auf dieser Etage befanden sich ein Bad, eine Toilette, zwei Schlafzimmer. Eines davon war das Hauptschlafzimmer. Er ging einmal darin herum, und ein seltsames Gefühl beschlich ihn. Servaz ließ seinen Blick durch das Zimmer schweifen. Ein Gedanke beunruhigte ihn.
    Ein Kleiderschrank. Eine Kommode. Ein Doppelbett. Aber nach der Form zu urteilen, die die Matratze angenommen hatte, schlief schon lange nur noch einer hier. Da war auch nur ein Stuhl, ein Nachttisch.
    Das Schlafzimmer eines geschiedenen Mannes, der allein lebte. Er öffnete den Kleiderschrank …
    Kleider, Blusen, Röcke, Pullover und Frauenmäntel. Und darunter Paare von Stöckelschuhen …
    Anschließend strich er mit einem Finger über den Nachttisch: eine dicke Staubschicht wie in Alices Zimmer …
    Chaperon schlief nicht in diesem Zimmer.
    Hier hatte vor ihrer Scheidung Chaperons Ex-Frau geschlafen.
    Wie die Grimms hatten auch die Chaperons getrennte Schlafzimmer gehabt
 …
    Dieser Gedanke verwirrte ihn. Instinktiv spürte er, dass er auf etwas gestoßen war. Die Anspannung war wieder da. Sie verließ ihn nicht. Immer dieses Gefühl einer Gefahr. Einer nahen Katastrophe. Er sah noch einmal Perrault vor sich, der in der Kabine schrie wie ein Verdammter, und ihm drehte sich alles im Kopf. Er musste sich an der Bettkante abstützen. Plötzlich ein Schrei:
    » MARTIN !«
    Er rannte zum Treppenabsatz. Irène Zieglers Stimme. Sie kam von unten. Er eilte die Treppe hinunter. Die Kellertür

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