Schwarzer Schmetterling
der Serie
Dr. House,
stand sie widerwillig auf. Vielleicht hatte sie auch gehofft, etwas mehr Geld zu verdienen. Eine Studentin im ersten Semester ihres Jurastudiums, die einen exotischen Vornamen wie Barbara, Marina oder vielleicht auch Olga trug, erinnerte er sich.
Ludmilla? Stella? Vanessa?
Er verzichtete darauf, sie bei ihrem Vornamen zu nennen, und bezahlte sie für die zwei Stunden, die sie da gewesen war. Er fand auch eine Notiz von Charlène, die mit einem Magneten an der Kühlschranktür befestigt war:
Vernissage. Komme spät. Kuss.
Er nahm einen Cheeseburger aus dem Gefrierschrank, legte ihn in die Mikrowelle und schaltete auf der Arbeitsplatte sein Notebook an. Er hatte mehrere E-Mails. Eine davon stammte von Kleim 162 . Sie trug die Überschrift: »Re: Verschiedene Fragen bezüglich L«. Espérandieu machte die Küchentür zu, legte Musik auf (The Last Shadow Puppets mit
The Age of the Understatement
), zog einen Stuhl heran und begann mit der Lektüre:
»Salut, Vince,
hier die ersten Ergebnisse meiner Recherchen. Kein Knüller, aber ein paar Kleinigkeiten, die ein Bild von Eric Lombard zeichnen, das sich ein wenig von seinem öffentlichen Image unterscheidet. Vor nicht allzu langer Zeit hat sich unser Mann auf einem Forum von Milliardären in Davos die Globalisierungsdefinition von Percy Barnevik, dem ehemaligen schwedischen Vorstandschef von ABB , zu eigen gemacht: ›Ich definiere Globalisierung als die Freiheit meines Konzerns, zu investieren, wo er will und wie lange er will, um zu produzieren, was er will, einzukaufen und zu verkaufen, wo er will, wobei er sich so wenig wie möglich durch arbeitsrechtliche Vorschriften und soziale Konventionen in seiner Geschäftstätigkeit einschränken lässt.‹ Das ist das Credo der meisten Chefs multinationaler Konzerne.
Um zu verstehen, wieso sie die Staaten immer stärker unter Druck setzen, muss man wissen, dass es zu Beginn der 1980 er Jahre weltweit etwa 7000 multinationale Konzerne gab, im Jahr 1990 37 000 und fünfzehn Jahre später schon über 70 000 , die 800 000 Tochtergesellschaften und siebzig Prozent der globalen Handelsströme kontrollierten. Und diese Dynamik beschleunigt sich immer mehr. Das führt dazu, dass es noch nie so viel Reichtum gab, aber dieser Reichtum war auch noch nie so ungleich verteilt: Der Vorstandschef von Disney verdient dreihunderttausendmal so viel wie ein haitianischer Arbeiter, der für sein Unternehmen T-Shirts herstellt. Die dreizehn Mitglieder des Vorstands von AIR , dem auch Eric Lombard angehört, haben im letzten Jahr insgesamt zehn Millionen Euro verdient – zweimal die Lohnsumme aller 6000 Arbeiter einer Fabrik des Konzerns in Asien.«
Espérandieu runzelte die Stirn. Wollte Kleim 162 ihm noch einmal die gesamte Geschichte des Liberalismus herunterbeten? Er wusste, dass seine Kontaktperson einen tiefsitzenden Argwohn gegen die Polizei, Politiker und Konzerne hegte, dass er nicht nur Journalist, sondern auch Mitglied von Greenpeace und Human Rights Watch war – und dass er bei den Gegengipfeln der Globalisierungsgegner am Rande der G- 8 -Gipfeltreffen in Genua und in Seattle dabei gewesen war. 2001 hatte er in Genua miterlebt, wie die italienischen Carabinieri in die Diaz-Schule eingedrungen waren, die als Quartier für Demonstranten genutzt wurde, und Männer und Frauen mit einer unerhörten Brutalität niederknüppelten, bis die Wände von Blut verschmiert waren. Als sie fertig waren, hatten sie Krankenwagen gerufen. Bilanz: ein T oter, 600 Verletzte und 281 Festnahmen.
»Eric Lombard hat sich seine ersten Sporen bei dem Sportartikelhersteller des Familienkonzerns verdient: Und weil so viele Spitzensportler die Marke tragen, ist sie bei allen Jugendlichen äußerst beliebt. Es ist ihm gelungen, innerhalb von fünf Jahren den Umsatz der Sparte zu verdoppeln. Wie das? Indem er das Outsourcing zu einer wahren ›Kunst‹ machte. Die Schuhe, die T-Shirts, die Shorts und andere Sportartikel wurden bereits in Indien, Indonesien und Bangladesch von Frauen und Kindern hergestellt. Eric Lombard fuhr dorthin und hat die geschlossenen Verträge revidiert. Um die Fabrikationslizenz zu erhalten, musste der Lieferant fortan drakonische Auflagen erfüllen: keine Streiks, erstklassige Qualität und so niedrige Produktionskosten, dass er seinen Arbeitern nur Hungerlöhne zahlen konnte. Und um den Druck aufrechtzuerhalten, wird die Lizenz jeden Monat überprüft. Die gleiche Methode wendete auch schon die Konkurrenz an.
Weitere Kostenlose Bücher