Schwarzer Schmetterling
Seit diese Politik umgesetzt wird, ist die Sparte so profitabel wie nie.«
Espérandieu schlug die Augen nieder. Er betrachtete sein T-Shirt, auf dem stand: » ICH STEH NEBEN EINEM ESEL «, mit einem Pfeil nach links.
»Noch ein Beispiel gefällig? Im Jahr 1996 hat die Pharma-Sparte des Konzerns die amerikanische Firma übernommen, die das Eflornithin entwickelt hat, den einzigen bekannten Wirkstoff gegen die afrikanische Trypanosomiasis, bekannter unter dem Namen Schlafkrankheit. An dieser Krankheit leiden heute etwa 450 000 Menschen in Afrika, und unbehandelt führt sie zu Gehirnentzündung, zu Koma und Tod. Der Lombard-Konzern hat die Herstellung dieses Medikaments umgehend eingestellt. Mit der Begründung:
nicht rentabel genug.
Zwar sind Hunderttausende von Menschen von dieser Krankheit betroffen, aber sie besitzen keine Kaufkraft. Und als Länder wie Brasilien, Südafrika und Thailand aus humanitären Gründen damit begannen, selbst Medikamente gegen Aids oder Meningitis zu produzieren, und sich dabei über die Patente der Pharmakonzerne hinwegsetzten, hat Lombard gemeinsam mit diesen Konzernen die entsprechenden Länder vor der Welthandelsorganisation verklagt. Damals lag der alte Lombard bereits im Sterben: Eric hatte mit vierundzwanzig Jahren die Zügel im Konzern in die Hand genommen. Siehst du allmählich den hübschen Abenteurer und Liebling unserer Medien mit anderen Augen?«
Aus alldem folgte, dass es Lombard an Feinden wohl nicht mangelte, sagte sich Vincent. Keine wirklich gute Nachricht. Er überflog die folgenden Seiten, die ungefähr in die gleiche Kerbe hieben, und sagte sich, dass er später darauf zurückkommen würde. An einem Absatz etwas weiter unten blieb er aber doch noch hängen:
»Der interessanteste Punkt für dich ist vielleicht der erbitterte Konflikt zwischen dem Lombard-Konzern und den Arbeitern der Fabrik Polytex nahe der belgischen Grenze im Juli 2000 . Seit Anfang der 1950 er Jahre stellte Polytex eine der ersten synthetischen Fasern in Frankreich her und beschäftigte tausend Arbeiter. Ende der 1990 er Jahre waren es nur noch 160 . 1991 wurde die Fabrik von einem multinationalen Konzern übernommen, der sie umgehend an Firmenaufkäufer weiterreichte: Wegen der Konkurrenz durch andere, billigere Fasern war sie nicht mehr rentabel. Allerdings stimmte das nicht ganz: Die überlegene Produktqualität machte die Faser sehr interessant für die Verwendung in der Chirurgie. Hier gab es eine Nachfrage. Schließlich lösten sich verschiedene Aufkäufer ab, bis eine Tochtergesellschaft des Lombard-Konzerns auf den Plan trat.
Für die Arbeiter war ein multinationaler Konzern von der Größe Lombards, der bereits im Pharma-, Medizin- und Chirurgiegeschäft tätig war, eine unverhoffte Lösung. Sie wollten daran glauben. Die vorhergehenden Aufkäufer hatten der Belegschaft bereits mit der üblichen Drohung, sonst müsste die Firma schließen, weitgehende Zugeständnisse abgepresst: eingefrorene Löhne, längere Arbeitszeiten, Wochenenden und Feiertage eingeschlossen … Lombard bildete keine Ausnahme von der Regel: Zunächst forderte er noch mehr Arbeitseinsatz. Tatsächlich hatte der Konzern die Fabrik nur zu einem einzigen Zweck übernommen: Er wollte die Fabrikationspatente erwerben. Am 5 . Juli 2000 eröffnete das Handelsgericht in Charleville-Mézières das Konkursverfahren. Für die Arbeiter war das eine schreckliche Enttäuschung. Das bedeutete fristlose Entlassung, sofortige Einstellung des Geschäftsbetriebs und Veräußerung der Betriebsanlagen. In ihrer Wut haben die Arbeiter von Polytex die Fabrik besetzt und erklärt, sie würden sie in die Luft jagen und 50 000 Liter Schwefelsäure in die Maas kippen, wenn man nicht auf ihre Forderungen einging. Sie wussten ganz genau, was für eine Waffe sie da besaßen: Die Fabrik war in die gleiche Risikoklasse eingestuft wie Seveso. Auf ihrem Gelände befand sich eine Menge hochgiftiger chemischer Produkte, die bei einem Brand oder einer Explosion eine schlimmere Katastrophe ausgelöst hätten als die Explosion der Düngemittelfabrik AZF in Toulouse 2001 .
Die Behörden ordneten die sofortige Evakuierung der Nachbarstadt an, Hunderte von Polizisten bezogen Stellung um die Fabrik, und der Lombard-Konzern wurde aufgefordert, über die Gewerkschaften unverzüglich Verhandlungen aufzunehmen. Das Ganze dauerte fünf Tage. Da bei den Gesprächen keine Fortschritte erzielt wurden, färbten die Arbeiter am 17 . Juli 5000 Liter
Weitere Kostenlose Bücher