Schwarzer Schmetterling
»Warum hast du nicht …«
Er stockte, als er den Hund auf der Rückbank liegen sah.
»Was ist das denn?«
»Ein Hund.«
»Das seh ich. Was macht der hier?«
Knapp schilderte Espérandieu ihm den Unfall. Servaz ließ sich auf den Beifahrersitz sinken und schlug die Tür zu.
»Du hast mich wegen eines …
Hundes
im Stich gelassen?«
Espérandieu sah ihn entschuldigend an.
»Das ist meine Brigitte-Bardot-Seite. Und außerdem war mein Handy zerbrochen. Du hast mir wirklich eine Heidenangst eingejagt! Wir haben die Sache ganz schön vergeigt.«
Servaz schüttelte den Kopf.
»Das war allein mein Fehler. Du hattest recht: Das war keine besonders gute Idee.«
Das war einer der Züge, die Espérandieu an Martin schätzte. Im Gegensatz zu vielen anderen Chefs konnte er seine Fehler eingestehen und die Verantwortung dafür übernehmen.
»Aber ich habe trotzdem etwas gefunden«, fügte er hinzu.
Er erzählte ihm von der Landkarte. Und der Eigentumsurkunde. Er zog einen Zettel heraus, auf dem er sich die Koordinaten notiert hatte. Dann schwiegen sie eine Zeitlang.
»Wir müssen Samira und die anderen verständigen. Wir brauchen Verstärkung.«
»Bist du sicher, dass du keine Spuren hinterlassen hast?«
»Ich glaube nicht. Abgesehen von einem Liter Schweiß unterm Bett.«
»Schön, einverstanden«, sagte Espérandieu. »Aber vorher müssen wir noch was erledigen.«
»Was denn?«
»Der Hund. Wir brauchen einen Tierarzt. Jetzt!«
Servaz betrachtete seinen Stellvertreter und fragte sich, ob er wohl scherzte. Aber Vincent wirkte todernst. Servaz drehte sich um. Er musterte das Tier. Es schien ziemlich übel dran zu sein. Der Hund hob mit Mühe die Schnauze von der Bank und sah sie mit traurigen, resignierten, aber sanften Augen an.
»Ziegler duscht«, sagte sein Stellvertreter, »sie wird heute Nacht ihre Wohnung nicht mehr verlassen. Sie weiß, dass sie den ganzen morgigen Tag hat, um sich Chaperon zu schnappen, da du eigentlich zu Hause bleiben solltest. Sie wird es am helllichten Tage tun.«
Servaz zögerte.
»Einverstanden«, sagte er. »Ich ruf die Gendarmerie an und erkundige mich nach einem Tierarzt in der Nähe. Inzwischen holst du Samira aus den Federn und sagst ihr, sie soll mit zwei weiteren Leuten hier antanzen.«
Espérandieu sah auf die Uhr – 2 : 45 Uhr – und hob den Hörer des Telefons ab, das am Armaturenbrett befestigt war. Er sprach gute zehn Minuten mit Samira. Dann legte er auf und wandte sich zu seinem Chef um. Den Kopf an den Fensterrahmen gelehnt, schlummerte Servaz neben ihm.
25
D as Feldbett knackte, als er sich aufrichtete, die Bettdecke zurückwarf und mit Schwung die nackten Füße auf den kalten Fliesenboden setzte. Ein unmöbliertes kleines Zimmer. Während er gähnte und die Nachttischlampe, die auf dem Boden stand, einschaltete, erinnerte sich Servaz, dass er von Charlène Espérandieu geträumt hatte: Sie waren nackt, lagen auf dem Boden eines Krankenhausflurs, und sie …
liebten sich,
während Ärzte und Krankenschwestern an ihnen vorbeigingen, ohne sie zu sehen!
In einem Krankenhausflur?
Er sah auf eine morgendliche Erektion hinunter und schüttelte schmunzelnd den Kopf. Er bückte sich nach seiner Uhr, die unter das Feldbett gerutscht war. Sechs Uhr früh … Er stand auf, räkelte sich und griff nach den sauberen Kleidern, die auf einem Stuhl für ihn bereitlagen. Das Hemd war zu weit, doch die Hose passte. Er nahm auch die Unterwäsche, das Handtuch und das Duschgel. Servaz wartete, bis er seine Würde vollständig wiedererlangt hatte, ehe er vor die Tür trat – auch wenn es unwahrscheinlich war, dass ihm um diese Uhrzeit jemand über den Weg lief –, dann ging er zu den Duschen am Ende des Gangs. Ziegler wurde jetzt rund um die Uhr observiert, und er schlief lieber in der Gendarmeriekaserne als im Hotel, um die Operationen in Echtzeit überwachen zu können.
In den Duschen war niemand. Es zog fürchterlich, und der stotternde Heizkörper konnte nichts dagegen ausrichten. Servaz wusste, dass die Gendarmen im anderen Flügel in Einzelzimmern schliefen und dass diese Räume wohl nur selten genutzt wurden. Trotzdem fluchte er, als er den Warmwasserhahn aufdrehte und kaum lauwarmes Wasser auf seinen Schädel rieselte.
Unter dem Wasserstrahl verzog er bei jeder Bewegung, die er machte, um sich einzuseifen, das Gesicht vor Schmerzen. Er begann zu überlegen. Er war mittlerweile fest davon überzeugt, dass Irène Ziegler die Mörderin war, aber es gab noch
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