Schwarzer Schmetterling
Sofa zu setzen und sie ganz lässig so zu empfangen. Er würde ihr einfach sagen, dass er sich mit seinem Dietrich Zutritt verschafft hatte. Dass er ihr etwas Wichtiges sagen musste. Nein! Das war idiotisch! Er war schweißgebadet, außer Atem; und sie würde sofort die Angst in seinen Augen lesen. Er hätte sie auf dem Treppenabsatz erwarten sollen. Was für ein Dummkopf! Jetzt war es zu spät! Wäre sie in der Lage, ihn umzubringen?
Mit einem eisigen Schauder dachte er, dass sie das ja schon versucht hatte. In der Kolonie … Gestern … Dieser Gedanke weckte ihn auf.
Versteck dich!
Er schlich mit großen Schritten Richtung Schlafzimmer. Ging in dem Moment in die Hocke, als ein Schlüssel ins Schloss eingeführt wurde.
Er kroch unters Bett, gerade noch rechtzeitig, um durch die geöffnete Tür ein Paar Stiefel in der Diele auftauchen zu sehen. Das Kinn auf den Fußboden gestützt, das Gesicht schweißtriefend, fühlte er sich wie in einem Alptraum. Er meinte, etwas zu erleben, was nicht ganz wirklich war – etwas, was nicht sein konnte.
Ziegler legte ihre Schlüssel laut auf dem Möbel in der Diele ab. Zumindest hörte er das Geräusch des Schlüsselbundes, sehen konnte er sie nicht. In einer Sekunde völliger Panik glaubte er, sie würde gleich geradewegs ins Schlafzimmer kommen.
Aber dann sah er die Stiefel Richtung Wohnzimmer verschwinden, während er gleichzeitig das Knirschen ihrer Lederkombination hörte. Mit dem Ärmelaufschlag wollte er sich den Schweiß abwischen, der ihm übers Gesicht rann, als er plötzlich erstarrte: sein Handy! Er hatte vergessen, es auszuschalten!
Der Hund wimmerte auf der Rückbank. Aber wenigstens rührte er sich nicht. Espérandieu nahm die letzte Kurve genauso wie alle anderen zuvor: so, dass er das Auto gerade noch unter Kontrolle hatte. Das Heck des Wagens schien aus der anfänglichen Bahn ausscheren zu wollen, aber er kuppelte aus, steuerte gegen, trat aufs Gas, und so konnte er es wieder in die Spur bringen.
Der Wohnblock, in dem Ziegler wohnte.
Er stellte den Wagen davor ab, griff nach seiner Waffe und sprang nach draußen. Im Aufblicken sah er, dass im Wohnzimmer Licht brannte. Auch Zieglers Motorrad war da. Aber keine Spur von Martin. Er spitzte die Ohren, aber abgesehen vom hohlen Seufzen des Windes war nichts zu hören.
Verdammt, Martin, komm raus!
Espérandieu spähte verzweifelt die Umgebung des Gebäudes ab, als ihm eine Idee kam. Er setzte sich wieder ans Steuer und fuhr los. Der Hund stöhnte leise.
»Ich weiß, mein Lieber. Keine Sorge, ich kümmere mich um dich.«
Er fuhr den kurzen, steilen Hang zum Parkplatz und zur Panoramatafel hinauf, nahm das Fernglas und schlüpfte durch die schmale Lücke in der Hecke. Gerade rechtzeitig, um Ziegler aus der Küche kommen zu sehen, eine Milchflasche in der Hand. Sie hatte ihre Motorradjacke aufs Sofa geworfen. Er sah, wie sie aus der Flasche trank, dann den Gürtel ihrer Lederhose aufmachte und ihre Stiefel auszog. Dann verließ sie das Wohnzimmer. Hinter einem kleineren Fenster links, einem Fenster aus Mattglas, ging das Licht an.
Das Badezimmer …
Sie duschte. Wo war Martin abgeblieben? Hatte er sich noch rechtzeitig aus dem Staub machen können? Aber wo versteckte er sich dann, verdammt? Espérandieu schluckte. Zwischen dem Badezimmerfenster und dem großen Fenster im Wohnzimmer lagen noch weitere Fenster. Da die Rollläden hochgezogen waren und die Zimmertür offen stand, glaubte er, im schwachen Lichtschein, der aus der Diele kam, ein Bett und ein Schlafzimmer zu erkennen. Plötzlich kroch unter dem Bett eine Gestalt hervor. Der Schatten richtete sich auf, zögerte eine Sekunde, verließ das Schlafzimmer und schlich leise durch die Diele zur Wohnungstür.
Martin!
Espérandieu hätte am liebsten vor Freude aufgeschrien, aber er begnügte sich damit, das Fernglas auf den Hauseingang zu richten, bis Servaz endlich zum Vorschein kam. Espérandieu lächelte. Servaz blickte nach rechts und nach links – offenkundig hielt er nach ihm Ausschau. Da steckte Espérandieu zwei Finger in seinen Mund und pfiff.
Servaz hob den Kopf und sah ihn. Er deutete mit einem Finger nach oben, und Espérandieu verstand. Mit seinem Fernglas suchte er die Fenster ab. Irène Ziegler war noch immer unter der Dusche. Er bedeutete Servaz, zur Hausecke zu gehen, und stieg in den Wagen. Eine Minute später öffnete sein Chef die Beifahrertür.
»Verdammt, wo hast du denn gesteckt?«, fragte er, eine Dampffahne vor dem Mund.
Weitere Kostenlose Bücher