Schwarzer Schmetterling
Gipfel, die Straße, über die er gekommen war, und die zum Kraftwerk, die Ferienkolonie und die Klinik sowie alle Ortschaften der Umgebung …
Er sah sich um. Ein Blatt fiel ihm ins Auge. Auf dem Schreibtisch. Ein Blatt unter anderen.
Er zog es heran und beugte sich darüber.
Eine Eigentumsurkunde …
Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Eine Urkunde auf den Namen von Roland Chaperon, mit Wohnsitz in Saint-Martin-de-Comminges. Auf der Urkunde stand auch eine Adresse: Weg Nr. 12 , Sektor 4 , Aure-Tal, Gemeinde Hourcade … Servaz fluchte. Er hatte keine Zeit, das Kataster oder das Grundbuchamt zu konsultieren. Dann bemerkte er, dass Ziegler mit rotem Filzstift einen Buchstaben und eine Ziffer unten auf das Blatt geschrieben hatte.
D4.
Er verstand. Mit feuchten Händen hielt er das Blatt an die Karte, während sein Zeigefinger fieberhaft darüberstrich …
Espérandieu drehte sich um und erblickte das Handy auf der Fahrbahn. Er stürzte sich darauf. Das Gerät war in zwei Stücke zerbrochen, das Plastikgehäuse geborsten. Mist! Er versuchte, Servaz trotzdem zu erreichen. Vergeblich. Augenblicklich überfiel ihn die Angst.
Martin!
Der Hund stöhnte herzzerreißend. Espérandieu sah ihn an.
Was ist das denn für ein verdammter Alptraum?
Schwungvoll riss er die Hintertür auf, ging zu dem Tier und hob es vorsichtig auf. Es war schwer. Der Hund knurrte drohend, aber ließ es geschehen. Espérandieu legte ihn auf die Rückbank, schlug die Tür zu und setzte sich wieder ans Steuer. Er warf einen Blick auf die Uhr. 2 : 20 Uhr! Ziegler musste jeden Moment an ihrer Wohnung sein!
Martin, zisch ab! Zisch ab! Zisch ab! Um Himmels willen!
Er legte einen Blitzstart hin, der Wagen schlitterte, das Heck brach seitlich aus, er steuerte gegen, bekam den Wagen in letzter Sekunde wieder unter Kontrolle und schoss über die weiße Fahrbahn, kam mehrmals in den Kurven ins Schleudern, die Hände wie ein Rallye-Pilot am Steuer festgeklammert. Sein Herz schlug wie verrückt.
Ein Kreuz … Ein winziges Kreuz aus roter Tinte, das er zunächst übersehen hatte. Ein Kreuz mitten im Quadrat D 4 . Servaz frohlockte. An dieser Stelle befand sich auf der Karte ein winziges schwarzes Quadrat inmitten einer unbewohnten waldigen Bergregion. Ein Chalet, eine Hütte? Egal. Servaz wusste jetzt, wohin Ziegler von der Diskothek aus fahren würde.
Unverwandt sah er auf die Uhr. 2 : 20 Uhr …
Irgendetwas stimmte nicht …
Espérandieu hätte ihn schon längst anrufen müssen. Ziegler hatte die Diskothek vor mittlerweile sechzehn Minuten verlassen! Viel länger, als man brauchte, um … Kalter Schweiß lief ihm den Rücken hinunter.
Er musste los …
SOFORT
!
Er warf einen panischen Blick Richtung Tür, legte die Karte dorthin zurück, wo er sie gefunden hatte, knipste die Schreibtischlampe aus, drehte das Licht im Schlafzimmer ab und schlich ins Wohnzimmer. Draußen dröhnte etwas … Servaz stürzte ans große Glasfenster. Gerade rechtzeitig, um Zieglers Motorrad um die Ecke des Wohnblocks biegen zu sehen. Es durchschauerte ihn eisig.
Sie ist schon da!
Er stürzte zum Schalter und machte die Wohnzimmerleuchte aus.
Dann eilte er zum Eingang, verließ die Wohnung und machte behutsam die Tür hinter sich zu. Seine Hand zitterte dermaßen, dass er beinahe den Dietrich hätte fallen lassen. Er verschloss die Tür von außen, hastete zur Treppe, blieb aber nach einigen Stufen unvermittelt stehen. Wohin wollte er? Dieser Ausgang war ihm versperrt. Hier würde er ihr direkt in die Arme laufen. Er erschrak, als er zwei Stockwerke tiefer die Eingangstür quietschen hörte. Er saß in der Falle! Er setzte, so leise er konnte, die Treppe hinauf. Stand wieder an seinem Ausgangspunkt: dem Treppenabsatz im zweiten Stock. Er sah sich um. Kein anderer Ausgang, kein Versteck – Ziegler wohnte im obersten Stock.
Das Herz hämmerte in seiner Brust, als wollte es sich einen Tunnel graben. Er versuchte nachzudenken. Sie würde jeden Moment auftauchen und ihn hier entdecken. Wie würde sie reagieren? Er sollte doch krank sein und das Bett hüten, und es war fast 2:30 Uhr morgens.
Denk nach!
Aber er konnte nicht. Er hatte keine Wahl. Er zog ein weiteres Mal den Dietrich und steckte ihn ins Schloss, öffnete die Tür und zog sie hinter sich zu.
Schließ ab!
Dann rannte er ins Wohnzimmer. Diese verfluchte Wohnung war einfach zu karg, zu spartanisch eingerichtet. Nirgends ein Versteck. Für einen Sekundenbruchteil erwog er, Licht zu machen, sich aufs
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