Schwarzer Schmetterling
Ein sehr niedriges, schräges Dach: Mit seinem Scheitel berührte er die Decke. Im hinteren Bereich eine Pritsche mit weißen Laken und einer zerwühlten braunen Decke, ein fleckiges Kopfkissen. Ein großer Ofen, dessen schwarzes Rohr im Dach verschwand, daneben aufgeschichtete Holzscheite. Ein Spülbecken und eine kleine Arbeitsfläche unter einem der Fenster; ein Brenner, der wohl an eine Gasflasche angeschlossen war. Ein Buch mit Kreuzworträtseln, aufgeschlagen auf einem Tisch, daneben eine Bierflasche und ein Aschenbecher voller Kippen; und über dem Tisch eine Sturmlaterne. Es roch nach Holzrauch, Tabak, Bier und vor allem nach saurem Schweiß. Es gab keine Dusche. Servaz fragte sich, wie sich Chaperon wohl wusch.
Das ist also von diesen Dreckskerlen übrig geblieben: zwei Leichen und so ein erbärmlicher Typ, der sich in seinem Bau verkriecht und stinkt.
Er öffnete die Wandschränke, schob eine Hand unter der Matratze durch, durchsuchte die Taschen der Jacke, die hinter der Tür hing. Er fand Schlüssel, einen Geldbeutel und eine Brieftasche. Er machte sie auf: ein Personalausweis, ein Scheckheft, eine Visa-Karte, eine American-Express-Karte … Im Geldbeutel waren 800 Euro in Zwanziger- und Fünfzigerscheinen. Dann zog er eine Schublade auf, fand die Waffe und die Patronen.
Er ging wieder hinaus.
In weniger als fünf Minuten waren alle Mann an ihren Plätzen. Zehn Leute bezogen im Umkreis der Hütte Position im Wald; sechs weitere an strategischen Punkten über dem kleinen Tal und an einer erhöhten Stelle oberhalb des Pfades, um sie kommen zu sehen – in ihren schusssicheren Kevlar-Westen wirkten sie so wuchtig wie Playmobil-Figuren; Servaz und Espérandieu befanden sich zusammen mit Chaperon im Innern der Hütte.
»Schert euch zum Teufel«, entfuhr es dem Bürgermeister. »Wenn Sie nichts gegen mich in der Hand haben, verzieh ich mich. Sie dürfen mich nicht gegen meinen Willen festhalten.«
»Wie Sie wünschen«, sagte Servaz. »Wenn Sie wie Ihre Kameraden enden wollen, dann gehen Sie, nur zu! Aber die Waffe beschlagnahmen wir. Und sobald Sie einen Schritt vor die Tür gesetzt haben, sind Sie ungeschützt – Spione, die ihre Tarnung verlieren, sagen, dass sie ›nackt in der Kälte stehen‹.«
Chaperon warf ihm einen hasserfüllten Blick zu, wog das Für und Wider ab, zuckte mit den Schultern und sank wieder auf seine Pritsche zurück.
Um 9 : 54 Uhr rief Samira an, um ihnen mitzuteilen, dass Ziegler von ihrer Wohnung losfuhr.
Sie lässt sich Zeit,
dachte er. Sie weiß, dass sie den ganzen Tag hat. Sie hatte die Sache bestimmt vorbereitet. Er griff zum Walkie-Talkie und verständigte alle Einheiten, dass sich die Zielperson in Bewegung gesetzt hatte. Dann nahm er sich einen Kaffee.
Um 10 : 32 Uhr trank Servaz seinen dritten Kaffee und rauchte seine fünfte Zigarette dieses Vormittags, obwohl Espérandieu ihn davon abzuhalten versuchte. Chaperon legte am Tisch schweigend Patiencen.
Um 10 : 43 Uhr rief Samira an: Ziegler hatte angehalten, um in einer Bar einen Kaffee zu trinken, und hatte außerdem Zigaretten, Briefmarken und Blumen gekauft.
»Blumen? In einem Blumenladen?«
»Ja, nicht beim Metzger.«
Sie hat sie entdeckt …
Um 10 : 52 Uhr erfuhr er, dass sie endlich Richtung Saint-Martin unterwegs war. Um in das kleine Tal zu gelangen, in dem sich die Hütte befand, musste man über die Straße, die Saint-Martin mit der Ortschaft verband, in der Ziegler wohnte – dann musste man in eine Nebenstraße abbiegen, die geradewegs Richtung Süden verlief und durch eine Landschaft voller Schluchten, Felswände und dunkler Wälder führte, ehe es in einen Forstweg hinein- und dann auf den Pfad abging, über den man die Talmulde erreichte.
»Was treibt sie denn?«, fragte Espérandieu kurz nach elf Uhr. Seit über einer Stunde hatten sie kaum drei Sätze miteinander gewechselt.
Gute Frage,
dachte Servaz.
Um 11 : 09 Uhr rief Samira an, um zu melden, dass Irène Ziegler ohne abzubremsen an der Abzweigung Richtung Talmulde vorbeigefahren war und jetzt nach Saint-Martin raste.
Sie kommt nicht hierher …
Fluchend ging Servaz nach draußen, um frische Luft zu schnappen. Maillard kam aus dem Wald und trat zu ihm.
»Was machen wir?«
»Wir warten.«
»Sie ist auf dem Friedhof«, sagte Samira um 11 : 45 Uhr am Telefon.
»Was? Was macht sie denn auf dem Friedhof? Sie führt euch spazieren: Sie hat euch entdeckt!«
»Vielleicht auch nicht. Sie hat
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