Schwarzer Schmetterling
anderen rennen überall herum, damit die Insassen sich nicht aus dem Staub machen. Das Feuer hat die Sicherheitssysteme deaktiviert. Heute ist Nacht der offenen Tür. Beeil dich! Unten steht ein Trupp von der Gendarmerie; das Feuer und die anderen Insassen werden sie eine Zeitlang beschäftigen.«
Er zog sich die Maske übers Gesicht. Lisa war mit dem Ergebnis zufrieden. Mit dem Kittel und der Maske war er in dem Zwielicht beinahe nicht wiederzuerkennen – einmal abgesehen von seiner Statur …
»Steig die Treppe hinunter bis ganz ins Kellergeschoss.« Sie hielt ihm einen kleinen Schlüssel hin. »Unten brauchst du nur den an die Wände gemalten Pfeilen zu folgen, das wird dich direkt zu einem geheimen Ausgang führen. Ich habe meinen Teil unserer Abmachung erfüllt. Jetzt musst du deinen erfüllen.«
»Meinen Teil der Abmachung?« Seine Stimme hallte in der Maske seltsam wider.
Sie holte eine Waffe aus ihrer Tasche hervor und hielt sie ihm hin.
»Du findest Diane Berg gefesselt im Untergeschoss. Nimm sie mit. Und bring sie um. Leg ihre Leiche irgendwo da draußen ab und verschwinde.«
Sobald er im Gang war, roch er den Brandgeruch. Die Lichtblitze des Feueralarms blendeten ihn, und das Heulen der nahen Sirene dröhnte ihm in den Ohren. Im Gang war niemand, alle Türen standen offen. Im Vorbeigehen bemerkte Hirtmann, dass die Zellen leer waren.
Monsieur Monde lag auf dem Boden der verglasten Kabine, eine schlimme Wunde am Hinterkopf. Blut auf dem Boden … Viel Blut … Sie gingen durch die weit geöffnete Sicherheitsschleuse, und jetzt sahen sie den Rauch, der von der Treppe aufstieg.
»Wir müssen uns beeilen!«, sagte Lisa Ferney mit einem Anflug von Panik in der Stimme.
Das Licht der Alarmanlage färbte ihr langes braunes Haar feuerrot und bemalte ihr Gesicht in einem grotesken Orangeton, es vertiefte den Schatten ihrer Augenbrauenbögen und ihrer Nase, unterstrich ihren eckigen Kiefer und verlieh ihr einen leicht maskulinen Zug.
Sie stürzten die Stufen hinunter. Der Rauch wurde immer dichter. Lisa hustete. Als sie das Erdgeschoss erreichten, blieb sie stehen und zeigte ihm den letzten Treppenlauf ins Kellergeschoss.
»Schlag mich!«,
sagte sie.
»Was?«
»Schlag zu! Knall mir eine mit der Faust auf die Nase! Schnell!«
Er zögerte nur eine Sekunde lang. Ihr Kopf wurde nach hinten geschleudert, als die Faust sie traf. Sie stieß einen Schrei aus und fasste sich mit den Händen ans Gesicht. Eine Sekunde lang betrachtete er mit Befriedigung das spritzende Blut, dann verschwand er.
Sie sah ihm nach, wie er in den Rauch eintauchte. Der Schmerz war stark, aber sie war vor allem nervös. Sie hatte gesehen, wie die Gendarmen, noch ehe sie den Brand gelegt hatte, aus ihrem Versteck am Berghang Richtung Institut gekommen waren. Was machten sie hier, wenn dieser Polizist doch tot war und Diane noch immer gefesselt und leblos unten lag?
Irgendetwas war nicht so gelaufen wie geplant …
Sie rappelte sich auf. Sie hatte Blut auf dem Kittel und auf dem Kinn. Sie taumelte zum Klinikeingang.
Servaz stand vor dem Gittertor des Schlosses. Neben ihm standen Maillard, Ziegler, Confiant, Cathy d’Humières, Espérandieu, Samira, Pujol und Simeoni. Hinter ihnen parkten drei Mannschaftswagen der Gendarmerie, in denen bewaffnete Einsatzkräfte saßen. Servaz hatte zweimal geläutet. Umsonst.
»Und?«, sagte Cathy d’Humières und schlug ihre Fäustlinge aneinander, um sich die Hände zu wärmen.
»Keine Reaktion.«
Sie hatten dermaßen auf dem Schnee vor dem Portal herumgetrampelt, dass sich die Fußabdrücke kreuzten und überlappten.
»Es muss jemand da sein«, sagte Ziegler. »Selbst wenn Lombard nicht da ist, sind immer Wächter und Bedienstete im Schloss. Das bedeutet, sie
wollen
nicht reagieren.«
Ihr Atem kondensierte zu weißen Dampfwölkchen, die sogleich vom stürmischen Wind verweht wurden.
Die Staatsanwältin sah auf ihre Golduhr. 0 : 36 Uhr.
»Alle in Position?«, fragte sie.
In weniger als fünf Minuten würde die Durchsuchung einer Wohnung im 8 . Pariser Arrondissement unweit der Place de l’Etoile beginnen. In einer Ecke stampften zwei völlig durchgefrorene Zivilisten mit den Füßen auf: Dr. Castaing und Maître Gamelin, der Notar, die als neutrale Zeugen erforderlich wären, falls der Grundstückseigentümer abwesend war. Da es sich um eine nächtliche Haussuchung handelte, hatte die Staatsanwältin ebenfalls geltend gemacht, dass – zumal nach dem Mordversuch von
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