Schwarzer Schmetterling
bereits lichterloh. Feuerwehrleute wickelten einen Löschschlauch von einem offenbar nagelneuen roten Lkw ab. Ein anderes Strahlrohr war bereits in Aktion. Viel zu spät. Das würde niemals reichen, um die Gebäude zu retten. Vor dem Eingang klappten Sanitäter eine Fahrtrage aus, die sie aus der Heckklappe eines Rettungswagens gezogen hatten.
Während sich die in Flammen stehenden Gebäude hinter ihnen entfernten, betrachtete Hirtmann durch die Maske den Nacken des Fahrers und betastete zugleich das kalte Metall der Waffe in seiner Tasche.
»Wie überwinden wir dieses Torgitter?«
Servaz prüfte es. Das Schmiedeeisen schien so robust zu sein, dass nur ein Fahrzeug mit einem Rammbock das Tor hätte aufstoßen können. Er wandte sich zu Ziegler um. Sie zeigte auf den Efeu, der einen der Pfeiler umrankte.
»Da lang.«
Voll im Sehbereich der Kamera,
sagte er sich.
»Wissen wir, wie viele dadrin sind?«, fragte Samira.
Sie überprüfte das Magazin ihrer Waffe.
»Vielleicht ist niemand da, vielleicht haben sie sich alle davongemacht«, sagte Ziegler.
»Oder es sind zehn, zwanzig oder dreißig«, sagte Espérandieu.
Er zog seine Sig Sauer und ein neues Magazin heraus.
»Dann können wir nur hoffen, dass sie sich an die Gesetze halten«, scherzte Samira. »Dass gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten Mörder ausbrechen: Das hat es bisher noch nicht gegeben.«
»Nichts beweist, dass Lombard genug Zeit gehabt hat, sich aus dem Staub zu machen«, antwortete Servaz. »Er ist bestimmt noch dadrin. Deshalb hätte er gern, dass wir alle zum Institut düsen.«
Confiant sagte nichts. Er betrachtete Servaz mit düsterem Gesicht. Sie sahen, wie Ziegler den Efeu packte und sich daran auf den Pfosten hochzog, sich an der Überwachungskamera festhielt, auf der Oberseite des Pfostens aufrichtete und auf der anderen Seite hinuntersprang. Servaz bedeutete Pujol und Simeoni, mit dem jungen Richter Wache zu halten. Dann atmete er tief ein und machte es wie die Gendarmin, allerdings mit größerer Anstrengung, zumal ihn die kugelsichere Weste unter seinem Pullover behinderte. Espérandieu bildete die Nachhut.
Servaz spürte einen stechenden Schmerz, als er sich abfing. Er stieß einen kleinen Schrei aus. Als er einen Schritt machen wollte, spürte er wieder den Schmerz. Er hatte sich den Knöchel verstaucht!
»Alles okay?«
»Geht schon«, antwortete er schroff.
Zum Beweis begann er hinkend loszumarschieren. Jeder Schritt tat ihm weh. Er biss die Zähne zusammen. Er prüfte, ob er diesmal wenigstens seine Waffe nicht vergessen hatte.
»Ist sie geladen?«, fragte Ziegler neben ihm. »Lad sie durch.
Jetzt.
Und halt sie in der Hand.«
Er biss sich auf die Zunge. Die Bemerkung der Gendarmin hatte einen empfindlichen Nerv bei ihm getroffen.
Es war 1 : 05 Uhr.
Servaz zündete eine Zigarette an und betrachtete das Schloss am Ende der langen Eichenallee. Die Fassade und die weißen Rasenflächen waren beleuchtet. Auch die pflanzlichen Tierskulpturen. Kleine Scheinwerfer strahlten im Schnee. Im Haupttrakt waren einige Fenster erleuchtet.
Als würden sie erwartet …
Aber nichts rührte sich. Keine Bewegung hinter den Fenstern. Sie hatten das Ende der Allee erreicht, sagte er sich. Ein Schloss … Wie im Märchen. Einem Märchen für Erwachsene …
Er ist dadrin. Er hat sich nicht davongemacht, hier wird sich alles entscheiden.
Es musste so kommen. Es stand von Anfang an fest.
In dieser künstlichen Beleuchtung hatte das Schloss etwas Unwirkliches. Mit seiner weißen Fassade wirkte es imposant. Noch einmal dachte Servaz, was Propp gesagt hatte.
»Suchen Sie das Weiß.«
Wieso war ihm das nicht früher eingefallen?
»Halten Sie!«
Der Fahrer drehte den Kopf leicht nach hinten, ohne die Straße aus den Augen zu lassen.
»Wie bitte?«
Hirtmann setzte dem Gendarmen das kalte Metall des Schalldämpfers ins Genick.
»Stopp!«, sagte er.
Der Mann bremste. Hirtmann wartete, bis der Wagen zum Stillstand gekommen war, dann feuerte er. Der Schädel des Mannes explodierte, und ein Brei aus Blut, Knochen und Gehirn bespritzte die linke obere Ecke der Windschutzscheibe, ehe der Mann aufs Steuer fiel. Ein beißender Geruch nach Pulver erfüllte den Fahrgastraum. An der Windschutzscheibe liefen braune Tropfen herab, und Hirtmann sagte sich, dass er sie säubern musste, eher er weiterfuhr.
Er wandte sich zu Diane um: Sie schlief noch. Er nahm seine Maske ab, öffnete die Tür und trat hinaus in den Schneesturm, dann machte
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