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Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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Das ist interessant.«
    »Wieso?«
    »Diese ganze Inszenierung … dieser
Wahnsinn
 … ich glaube, dass derjenige, der das getan hat, nicht nur verrückt, sondern auch intelligent ist. Sehr intelligent.«
    »In diesem Fall kann man die Wachleute ausschließen«, sagte er.
    »Vielleicht. Außer wenn sich einer von ihnen verstellt.«
    Sie hatte ihr Notebook aus der Umhängetasche genommen und es auf dem Tisch, zwischen ihrem Orangensaft und Servaz’ Kaffee, aufgeklappt. Wieder der gleiche Gedanke wie eben: Die Zeiten änderten sich, eine neue Generation von Ermittlern trat ans Ruder. Es mangelte ihr vielleicht an Erfahrung, aber andererseits stand sie fest in ihrer Zeit – und die Erfahrung würde so oder so kommen.
    Sie tippte etwas ein, und er nutzte die Gelegenheit, um sie zu beobachten. Sie war ganz anders als am Vortag, als er sie in ihrer Uniform gesehen hatte. Er betrachtete das kleine Tattoo an ihrem Hals, das chinesische Schriftzeichen, das unter ihrem Rollkragen hervorschaute. Er dachte an Margot. Was steckte nur hinter dieser Tattoo-Mode? Tattoos und Piercings. Was bedeutete es? Ziegler hatte ein Tattoo und einen Ring in der Nase. Vielleicht trug sie auch an intimeren Stellen Schmuck: am Nabel, an den Brustwarzen oder an den Schamlippen, wie er irgendwo gelesen hatte. Diese Vorstellung verwirrte ihn. Änderte das ihre Art zu denken? Er fragte sich plötzlich, was für ein Intimleben eine Frau wie sie wohl hatte, während er sich zugleich der Tatsache bewusst war, dass das seine seit Jahren einer Wüste glich. Er verjagte diesen Gedanken.
    »Warum die Gendarmerie?«, fragte er.
    Sie hob den Kopf und zögerte einen Moment.
    »Oh«, sagte sie, »Sie meinen, warum ich mich für die Gendarmerie entschieden habe?«
    Er nickte, ohne den Blick von ihr abzuwenden. Sie lächelte.
    »Weil der Arbeitsplatz sicher ist, vermute ich mal. Und weil ich anders sein wollte als die anderen …«
    »Was heißt das?«
    »Ich hab Soziologie studiert. Ich war in einer anarchistischen Gruppierung. Ich habe sogar in einem besetzten Haus gewohnt. Die Polizei, die Gendarmerie, das war unser Feindbild: Faschos, die Kettenhunde der Macht, der Vorposten der Reaktion – die, die das kleinbürgerliche Wohlleben beschützten und die Schwachen, die Immigranten, die Obdachlosen unterdrückten … Mein Vater war Gendarm. Ich wusste, dass er nicht so war, aber ich glaubte trotzdem, dass meine Kommilitonen recht hatten: Mein Vater war eben die Ausnahme. Als ich dann aber nach dem Studium sah, wie meine revolutionären Freunde Ärzte, Notariats- oder Bankangestellte und Personaldirektoren wurden und mehr und mehr über Geld, Kapitalanlagen und Renditen redeten … da habe ich angefangen, mir Fragen zu stellen. Da ich arbeitslos war, habe ich schließlich an den Auswahlverfahren teilgenommen.«
    Ganz einfach,
sagte er sich.
    »Servaz ist kein Name von hier«, bemerkte sie.
    »Ziegler auch nicht.«
    »Ich wurde in Lingolsheim bei Straßburg geboren.«
    Er wollte gerade antworten, als Zieglers Handy brummte. Sie machte eine entschuldigende Geste und ging dran. Sie runzelte die Stirn, während sie lauschte. Als sie das Gespräch beendete, sah sie ihn ausdruckslos an.
    »Das war Marchand. Er hat den Kopf des Pferdes gefunden.«
    »Wo?«
    »Auf dem Gestüt.«
     
    Sie verließen Saint-Martin auf einer anderen Straße als der, auf der sie gekommen waren. Am Ortsausgang kamen sie am Sitz der Bergwacht vorbei, die wegen der medialen Vermarktung riskanter Sportarten immer häufiger ausrücken musste.
    Drei Kilometer weiter bogen sie von der Hauptstraße in eine Nebenstraße ab. Jetzt fuhren sie durch eine ausgedehnte Ebene, an deren Rand sich die Berge auf Abstand hielten, und er hatte den Eindruck, ein bisschen durchatmen zu können. Bald tauchten zu beiden Seiten der Straße Zäune auf. Der Schnee funkelte grell im Widerschein der strahlenden Sonne.
    »Wir befinden uns auf dem Anwesen der Familie Lombard«, verkündete Irène Ziegler.
    Obwohl die Straße holprig war, fuhr sie schnell. Sie gelangten an eine Kreuzung, wo ihre Straße einen Waldweg schnitt. Zwei Reiter mit Kappen – ein Mann und eine Frau – blickten ihnen im Vorbeifahren nach. Ihre Reittiere hatten das gleiche schwarzbraune Fell wie das tote Pferd.
Rotbraun,
wie sich Servaz erinnerte. Ein Stück weiter forderte sie ein Schild mit der Aufschrift » GESTÜT « auf, nach links abzubiegen.
    Der Wald wich zurück.
    Sie fuhren an mehreren niedrigen, scheunenartigen Gebäuden

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