Schwarzer Schmetterling
abgesprochen haben, bevor wir sie getrennt haben«, lautete seine Schlussfolgerung, worauf er den Becher in einem Zug leerte. »Entweder weil sie dahinterstecken oder weil sie etwas anderes zu verbergen haben.«
»Was machen wir?«, fragte Ziegler.
Er überlegte kurz, zerknüllte seinen Styroporbecher und warf ihn in den Mülleimer, den er jedoch verfehlte.
»Wir haben nichts gegen sie vorzuweisen«, sagte er und bückte sich, um den Becher aufzuheben. »Wir lassen sie gehen.«
Servaz sah die Wachmänner im Geiste noch einmal vor sich. Keiner der beiden erschien ihm vertrauenswürdig. Typen wie ihnen war er in seinen siebzehn Berufsjahren zuhauf begegnet. Vor der Befragung hatte Ziegler ihm gesteckt, dass die Namen der beiden in der Polizeidatenbank STIC auftauchten, was aber nichts zu sagen hatte: Nicht weniger als sechsundzwanzig Millionen Gesetzesverstöße waren in der STIC erfasst, darunter auch Bußgelder für geringfügige Ordnungswidrigkeiten, zum großen Missfallen der Datenschützer, die der französischen Polizei für die Errichtung dieses »informationstechnologischen Wachturms« den Big Brother Award verliehen hatten.
Aber Ziegler und er hatten auch herausgefunden, dass die beiden vorbestraft waren. Jeder von ihnen hatte mehrere, relativ kurze Freiheitsstrafen verbüßt, die im Zusammenhang mit diversen Straftaten standen: schwere Körperverletzung, Todesdrohungen, Freiheitsberaubung, Erpressung und eine ganze Reihe von Gewalttaten – darunter einige, die sich gegen ihre Lebensgefährtinnen richteten. Obwohl ihre Strafregister so dick waren wie ein Telefonbuch, hatten sie zusammengenommen insgesamt nur fünf Jahre hinter Gittern verbracht. Bei den Vernehmungen hatten sie sich sanft wie ein Lamm gegeben und beteuert, sie bereuten zutiefst und hätten die Lektion verstanden. Ihre Reuebekundungen waren herzergreifend, aber unglaubwürdig: das übliche Geschwätz, und nur ein Anwalt hätte so tun können, als nehme er das für bare Münze. Instinktiv hatte Servaz erkannt, dass er eine verdammt ungemütliche Viertelstunde gehabt hatte und sie ihm genüsslich die Fresse poliert hätten, wenn er kein Polizist gewesen wäre und ihnen die gleichen Fragen im hintersten Winkel eines menschenleeren Parkplatzes gestellt hätte.
Er fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht. Irène Ziegler hatte tiefe Schatten unter ihren schönen Augen, und er fand sie jetzt noch hinreißender. Sie hatte ihre Uniformjacke fallen lassen, das Licht der Neonröhre schimmerte auf ihrem blonden Haar. Er betrachtete ihren Hals. Eine kleine Tätowierung schaute unter ihrem Kragen hervor. Ein chinesisches Schriftzeichen.
»Wir machen eine Pause und schlafen ein paar Stunden. Was steht morgen auf dem Programm?«
»Das Gestüt«, sagte sie. »Ich habe ein paar Männer losgeschickt, um die Box zu versiegeln. Die Kriminaltechniker werden sich morgen darum kümmern.«
Servaz erinnerte sich, dass Marchand von einem Einbruch gesprochen hatte.
»Wir werden mit den Mitarbeitern des Gestüts anfangen. Es kann nicht sein, dass niemand etwas gesehen oder gehört hat. Capitaine«, sagte er zu Maillard, »ich glaube nicht, dass wir Sie brauchen werden. Wir halten Sie auf dem Laufenden.«
Maillard nickte zustimmend.
»Wir müssen vorrangig zwei Fragen beantworten: Was ist aus dem Kopf des Pferdes geworden? Und weshalb haben sich der oder die Täter die Mühe gemacht, das Pferd an der Bergstation einer Seilbahn aufzuhängen? Das muss zwangsläufig etwas Bestimmtes bedeuten.«
»Das Werk gehört zum Lombard-Konzern«, sagte Ziegler, »und Freedom war das Lieblingspferd von Eric Lombard. Ganz offensichtlich war er gemeint.«
»Eine Anklage?«, meinte Maillard.
»Oder Rache.«
»Rache kann auch eine Anklage sein«, sagte Servaz. »Ein Typ wie Lombard hat mit Sicherheit Feinde, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ein rein geschäftlicher Rivale seine Tat in dieser Weise inszenieren würde. Wir sollten uns eher unter den Mitarbeitern umtun, Beschäftigten, die entlassen wurden oder eine psychiatrische Vorgeschichte haben.«
»Es gibt noch eine weitere Hypothese«, sagte Irène Ziegler, während sie ihr Notebook zuklappte. »Lombards Unternehmen hat Niederlassungen in zahlreichen Ländern: Russland, Südamerika, Südostasien … Es ist möglich, dass der Konzern irgendwann einmal Mafia-Organisationen oder Verbrechersyndikaten in die Quere gekommen ist.«
»Sehr gut. Behalten wir alle diese Hypothesen im Auge und
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