Schwarzer Schmetterling
Sie bitte dran.«
Ein endloses Anläuten. Dann die Stimme eines Mannes mittleren Alters.
»Ja?«
»Ich würde gern Eric Lombard sprechen.«
»Wen darf ich …?«
»Commandant Servaz, Mordkommission.«
»Worum geht es?«
Servaz spürte, wie der Ärger in ihm hochstieg.
»Hören Sie, Ihr Chef will mich sprechen. Ich habe ’ne Menge andere Sachen am Hals. Ich hab’s also ein bisschen eilig!«
»Buchstabieren Sie Ihren Namen klar und deutlich und nennen Sie mir gleich noch den Grund Ihres Anrufs«, sagte der Mann am anderen Ende unerschütterlich. »Monsieur Lombard ist ebenfalls ein vielbeschäftigter Mann!«
Seine Arroganz machte Servaz perplex. Er hätte beinahe aufgelegt, aber er nahm sich zusammen.
»Servaz – S, E, R, V, A, Z. Es geht um sein Pferd, Freedom.«
»Konnten Sie das nicht eher sagen?! Bleiben Sie dran.«
Nach zwanzig Sekunden war der Mann wieder am Apparat.
»Monsieur Lombard erwartet Sie um 15 Uhr heute Nachmittag.«
Das war keine Einladung, das war ein Befehl.
Als er in das Anwesen von Eric Lombard hineinfuhr, hatte er das Gefühl, eine Märchenwelt zu betreten. Sie hatten Motorrad und Auto auf dem Parkplatz der Gendarmerie in Saint-Martin stehengelassen und einen Dienstwagen genommen. Dieselbe Straße wie beim letzten Mal: Doch statt im Wald links zum Reitzentrum abzubiegen, fuhren sie einfach geradeaus weiter.
Anschließend durchquerten sie eine luftige, hügelige Wiesenlandschaft, in der verstreut Birken, Eichen, Tannen und Ulmen standen. Das riesige Gut erstreckte sich, so weit das Auge reichte. Überall gab es Hindernisse, Pferde auf den Wiesen und Landwirtschaftsmaschinen, die einsatzbereit am Rand der Wege standen. Stellenweise lag noch Schnee, aber die Luft war lichtdurchflutet und klar. Servaz dachte an eine Ranch in Montana oder an eine Hacienda in Argentinien. Anfangs waren von Zeit zu Zeit Schilder mit der Aufschrift » PRIVATGRUND / BETRETEN VERBOTEN « an Baumstämmen und an Gattern entlang der Felder befestigt. Aber einen Zaun gab es nicht. Fünf Kilometer weiter stießen sie dann auf die Steinmauer. Sie war vier Meter hoch und versperrte den Zugang zu einem bewaldeten Teil des Anwesens. Sie bremsten vor dem Eisengitter. An einem der Pfeiler hing eine Granitplatte.
Servaz las » CHÂTEAU - BLANC « in goldenen Lettern.
An der Spitze des Pfeilers drehte sich eine Kamera. Sie mussten nicht erst aussteigen und sich über die Gegensprechanlage anmelden. Das Gitter öffnete sich praktisch sofort.
Sie fuhren noch einen guten Kilometer durch eine von hundertjährigen Eichen gesäumte Allee. Die makellos asphaltierte, gerade Straße bildete ein schwarzes Glacis unter den krummen Ästen der hohen Bäume. Servaz sah das Gebäude langsam aus der Tiefe des Parks auf sie zukommen. Einige Augenblicke später hielten sie vor einem mit Winterheide und blassrosa Kamelien bepflanzten Beet, das von Schnee bedeckt war. Servaz war enttäuscht: Das Schloss war kleiner, als er erwartet hatte. Aber ein zweiter Blick berichtigte diesen Eindruck: Es war ein Gebäude von kindlicher Schönheit, vermutlich Ende des 19 . oder Anfang des 20 . Jahrhunderts erbaut, halb Loire-Schloss, halb englischer Herrensitz. Ein Märchenschloss … Vor den Fenstern im Erdgeschoss erhob sich eine Reihe großer Buchsbaumhecken, die in Form verschiedener Tiere geschnitten waren: ein Elefant, ein Pferd, eine Giraffe und ein Hirsch, die sich gegen den Schnee abhoben. Linker Hand, Richtung Osten, entdeckte Servaz einen französischen Garten mit nachdenklichen Statuen und Brunnenbecken, ein abgedecktes Schwimmbad und einen Tennisplatz. Eine große Orangerie etwas weiter hinten, mit einem Haufen bizarrer Antennen auf dem Dach.
Er erinnerte sich an die Zahlen, die er im Internet gelesen hatte: Eric Lombard war einer der wohlhabendsten Männer Frankreichs und einer der einflussreichsten obendrein. Er stand an der Spitze eines Unternehmens, das in über siebzig Ländern aktiv war. Vermutlich war die ehemalige Orangerie in ein ultramodernes Kommunikationszentrum umgebaut worden. Ziegler schlug ihre Autotür zu.
»Sehen Sie mal!«
Sie zeigte auf die Bäume. Er folgte ihrem ausgestreckten Arm mit den Augen. Zählte etwa dreißig Kameras, die zwischen den Ästen an den Baumstämmen befestigt waren. Sie erfassten vermutlich den gesamten Bereich. Kein toter Winkel. Irgendwo im Schloss beobachtete man sie. Sie folgten einem Rollsplittweg zwischen den Blumenrabatten und gingen zwischen zwei kauernden
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