Schwarzer Schmetterling
innerlich gegen diese Gipfel wie gegen eine Wand. Als wäre das eine Gegend, die dem Menschen kaum vertraut ist, eine
terra incognita,
ein »Ende der Welt« – buchstäblich.
Er betrat das Bistro, das sie ihm genannt hatte, setzte sich an einen Tisch nahe der Glasfront und bestellte Milchkaffee und ein Croissant. In einer Ecke über der Theke hing ein Fernseher, in dem ein Nachrichtensender eingeschaltet war. Die bis zum Anschlag aufgedrehte Lautstärke störte Servaz in seinen Gedanken. Er wollte gerade fragen, ob man den Apparat nicht ein wenig leiser stellen könne, als er hörte, wie ein Journalist, der mit einem Mikrophon in der Hand am Rand der Rollbahn eines Flugplatzes stand, den Namen Eric Lombard aussprach. Weiße Berge, ganz ähnlich denen, die er gerade draußen gesehen hatte, tauchten im Hintergrund auf. Jetzt starrte er auf den Fernseher. Als das Gesicht von Eric Lombard auf dem Bildschirm erschien, stand Servaz auf und ging an die Theke.
Der Milliardär wurde unmittelbar nach seiner Ankunft auf dem Flughafen von Tarbes interviewt. Hinter ihm sah man einen funkelnd weißen Privatjet, auf dessen Rumpf in blauen Lettern LOMBARD stand. Lombard wirkte niedergeschlagen, wie jemand, der einen lieben Menschen verloren hat. Der Journalist fragte ihn,
ob ihm dieses Tier besonders viel bedeutet habe.
»Das war nicht bloß ein Pferd«, antwortete der Geschäftsmann mit einer Stimme, in der Ergriffenheit und Entschlossenheit sorgfältig dosiert waren, »es war ein Gefährte, ein Freund, ein Partner. Wer Pferde wirklich liebt, weiß, dass sie mehr sind als nur Tiere. Und Freedom war ein außergewöhnliches Pferd, in das wir große Hoffnungen setzten. Aber vor allem sind die Umstände seines Todes unerträglich. Ich werde dafür sorgen, dass alles getan wird, um die Täter zu finden.«
Servaz sah, wie der Blick von Eric Lombard zum Objektiv der Kamera wanderte und durch dieses hindurch die Zuschauer fixierte – ein Blick, der zunächst Schmerz ausgedrückt hatte und jetzt Wut, Herausforderung und Drohung.
»Diejenigen, die das getan haben, sollten wissen, dass sie mir nicht entwischen werden –
und dass ich ein Mann bin, der nach Gerechtigkeit dürstet.
«
Servaz sah sich um. Alle starrten auf den Bildschirm.
Nicht schlecht,
sagte er sich,
schöne Nummer.
Vorbereitet, das war unverkennbar, und dennoch strahlte dieser Auftritt eine schonungslose Ernsthaftigkeit aus. Servaz fragte sich, ob ein Mann wie Eric Lombard diese Drohung wahr machen würde. Die kommenden zwei Stunden verbrachte er mit einer Bestandsaufnahme dessen, was sie wussten und was sie noch nicht wussten. Letzteres stellte Ersteres in dieser Phase natürlich weit in den Schatten. Als Irène Ziegler schließlich hinter der Scheibe auf dem Gehsteig erschien, blieb er einen Moment lang sprachlos: Sie trug eine lederne schwarze Motorradkombi mit steifen Schutzkappen an Schultern und Knien, dazu an Zehenspitzen und Ferse verstärkte Stiefel, und in der Hand hielt sie einen Integralhelm.
Eine Amazone …
Wieder verblüffte ihn ihre Schönheit. Sie war fast so schön wie Charlène Espérandieu, aber ein anderer Typ – sportlicher, weniger mondän. Charlène glich einer Modezeichnung, Irène Ziegler einer Surfmeisterin. Wieder war er verwirrt. Er erinnerte sich, was er gedacht hatte, als er ihren Nasenring gesehen hatte. Irène Ziegler war unbestreitbar eine anziehende Frau.
Servaz sah auf die Uhr. Schon elf.
»Und?«
Sie erklärte ihm, dass die Obduktion keine wichtigen neuen Erkenntnisse erbracht habe, bis auf die Tatsache, dass das Tier erst nach seinem Tod zerstückelt wurde. Marchand war da gewesen. Der Rechtsmediziner hatte durchblicken lassen, dass das Pferd wahrscheinlich unter Drogen gestanden habe – die toxikologische Analyse werde das zeigen. Nach Abschluss der Obduktion habe der Chef des Reitzentrums erleichtert gewirkt. Er hatte sich schließlich durchgerungen, den Kadaver zum Abdecker zu geben. Bis auf den Kopf, den sein Chef behalten wollte. Laut Marchand wollte er ihn ausstopfen, um ihn an die Wand zu hängen.
»Ihn an die Wand zu hängen?«, wiederholte Servaz ungläubig.
»Halten Sie sie für die Täter?«, fragte die Gendarmin.
»Wen sie?«
»Die Wachmänner.«
»Ich weiß nicht.«
Er holte sein Handy heraus und wählte die Nummer des Schlosses. Eine Frauenstimme antwortete.
»Commandant Servaz, Mordkommission Toulouse. Ich würde gern mit Eric Lombard sprechen.«
»Wie war noch Ihr Name?«
»Servaz.«
»Bleiben
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