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Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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würde. Sie hatte versprochen, ihm bald zu schreiben und ihm ausführlich Bericht zu erstatten. Wie alle Experten für forensische Psychiatrie brannte auch Pierre Spitzner vor Neugier auf alles, was mit dem Institut Wargnier zu tun hatte. Als er erfahren hatte, dass sich Diane erfolgreich beworben hatte, hatte er darin nicht nur eine Chance für sie, sondern auch eine Gelegenheit für sich selbst erkannt, mehr über dieses Institut zu erfahren, über das so viele Gerüchte kursierten.
    Sie gab die ersten Wörter ein:
     
    Lieber Pierre,
    mir geht es gut. Diese Klinik …
     
    Ihre Hand erstarrte.
    Ein Bild war gerade vor ihrem inneren Auge aufgeblitzt – klar und scharfkantig wie Eis …
     
    Die Villa von Spitzner über dem See, das Schlafzimmer im Halbdunkel, die Stille des leeren Hauses. Pierre und sie in dem großen Bett. Zunächst wollten sie nur eine Akte holen, die er vergessen hatte. Seine Frau war am Flughafen und wartete auf ihren Flug nach Paris, wo sie einen Vortrag mit dem Titel
Persönlichkeiten & Standpunkte
halten sollte (Spitzners Frau hatte etwa zehn ebenso komplexe wie blutige Krimis mit starker sexueller Einfärbung geschrieben, die einen gewissen Erfolg erzielt hatten). Pierre hatte die Gelegenheit genutzt, um ihr das Haus zu zeigen. Als sie vor dem Schlafzimmer des Paars eingetroffen waren, hatte er die Tür aufgemacht und Diane an der Hand genommen. Zunächst wollte sie nicht in diesem Bett mit ihm schlafen, aber er hatte sie mit jener kindlichen Art bekniet, die sie weich werden und ihre sämtlichen Dämme brechen ließ. Er hatte Diane auch gedrängt, die Unterwäsche seiner Ehefrau anzuziehen. Unterwäsche, die sie in den teuersten Boutiquen von Genf gekauft hatte … Diane hatte gezögert. Aber der Reiz des Verbotenen, des moralischen Regelverstoßes hatte eine derart starke Anziehungskraft auf sie ausgeübt, dass ihre Skrupel bald verstummten. Sie hatte festgestellt, dass sie die gleichen Körpermaße wie die Ehefrau ihres Geliebten hatte. Sie lag mit geschlossenen Augen unter ihm, ihre beiden Körper vollkommen aufeinander abgestimmt und miteinander verschweißt, das hochrote Gesicht von Pierre über ihr, als von der Tür des Zimmers her eine kalte, schneidende Stimme erklang:
    »Schaff deine Nutte hier raus.«
     
    Sie klappte das Notebook wieder zu, jegliche Lust zu schreiben war wie verflogen. Sie wandte den Kopf um, um das Licht auszumachen.
    Der Schatten war unter ihrer Tür …
Regungslos …
Sie hielt den Atem an, unfähig, sich zu rühren. Aber dann gewannen Neugierde und Verärgerung wieder die Oberhand, und sie stürzte Richtung Tür.
    Aber schon wieder war der Schatten verschwunden.

[home]
    TEIL ZWEI
Willkommen in der Hölle
    10
    A m Sonntag, den 14 . Dezember, um 7 : 45  Uhr verließ der 28 -jährige Damien Ryck, genannt Rico, seine Wohnung und brach allein zu einem Berglauf auf. Der Himmel war grau, und er wusste schon jetzt, dass sich die Sonne an diesem Tag nicht mehr zeigen würde. Gleich nach dem Aufwachen war er auf die große Terrasse seines Hauses getreten und hatte gesehen, dass die Dächer und Straßen von Saint-Martin in dichten Nebel gehüllt waren. Über der Stadt schlangen sich rußschwarze Wolken in gewundenen Arabesken um die Gipfel.
    Angesichts des Wetters entschied er sich für eine leichte, ernüchternde Tour über eine Route, die er bestens kannte. Gestern Abend oder, genauer gesagt, vor ein paar Stunden war er nach einer feuchtfröhlichen Fete bei Freunden, mit denen er mehrere Joints geraucht hatte, nach Hause gekommen und war samt Kleidern zu Bett gegangen. Am Morgen war er – nach einer Dusche, einer Schale schwarzem Kaffee und einem weiteren Joint, den er auf der Terrasse geraucht hatte – zu der Überzeugung gelangt, dass ihm die reine Höhenluft sehr guttun und ihm wieder einen klaren Kopf verschaffen würde. Etwas später an diesem Vormittag wollte Rico das Einfärben einer Druckplatte abschließen – eine diffizile Arbeit, die eine sichere Hand erforderte.
    Rico war Comiczeichner.
    Ein wunderbarer Beruf: Er konnte zu Hause arbeiten und außerdem noch von seiner Leidenschaft leben. Seine sehr düsteren Comics in Schwarzweiß waren bei Insidern sehr geschätzt, und in der kleinen Welt des Independent-Comics wuchs seine Bekanntheit stetig. Als begeisterter Skitourengänger, Bergsteiger, Mountainbiker, Gleitschirmflieger und Weltenbummler hatte er in Saint-Martin einen idealen Ort für sein Basislager gefunden. Mit seinem Beruf und dank

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