Schwarzer Schmetterling
angestellt.«
Mit ihrer raschen, nicht polizeilich »verbildeten« Auffassungsgabe hatte Alexandra den Finger in die Wunde gelegt. Aber was könnten Lombard und Grimm gemeinsam getan haben, was eine derart grausame Rache auslösen könnte? Das kam ihm völlig unwahrscheinlich vor. Und falls doch, was hätte Hirtmann mit dem Ganzen zu tun?
Plötzlich breitete sich wie ein Tintentropfen ein anderer Gedanke in seinem Geist aus: Margot – war sie in irgendeiner Weise in Gefahr? Der Knoten in seinem Bauch wollte sich nicht lösen. Er griff nach seiner Jacke und verließ sein Zimmer. Unten an der Rezeption fragte er, ob hier irgendwo ein Rechner und eine Webcam zur Verfügung stünden. Die Rezeptionistin nickte und kam hinter der Theke hervor, um ihn in einen kleinen Salon zu führen. Servaz dankte ihr und klappte sein Handy auf.
»Papa?«, sagte die Stimme seiner Tochter im Apparat.
»Logg dich ins Netz ein und aktivier deine Webcam«, sagte er.
»Jetzt gleich?«
»Ja, jetzt gleich.«
Er setzte sich hin und startete die Videokonferenz-Software. Nach fünf Minuten war seine Tochter noch immer nicht eingeloggt, und Servaz wurde schon ungeduldig, als in der unteren rechten Ecke des Bildschirms die Meldung erschien »Margot hat sich eingeloggt«. Sofort startete Servaz das Video, und ein blauer Lichtsplitter leuchtete über der Kamera auf.
Margot war in ihrem Zimmer, eine dampfende Tasse in der Hand, und sah ihn neugierig und ein wenig argwöhnisch an. Hinter ihr, an der Wand, hing ein großes Werbeplakat von einem Film mit dem Titel
Die Mumie:
Darauf war ein bewaffneter Mann vor dem Hintergrund einer Wüstenlandschaft mit Pyramiden im Sonnenuntergang zu sehen.
»Was gibt’s?«, fragte sie.
»Das frage ich dich.«
»Wie bitte?«
»Du hörst mit Klavierspielen und Karate auf: warum?«
Etwas zu spät merkte er, dass seine Stimme viel zu scharf und seine Herangehensweise zu schroff war. Natürlich kam das daher, dass er hatte warten müssen. Er hasste es, wenn man ihn warten ließ. Aber er hätte anders herangehen und erst mal mit weniger heiklen Themen anfangen sollen. Sie mit seinen üblichen Scherzen zum Lachen bringen. Das waren doch Grundprinzipien der Manipulation – selbst gegenüber seiner eigenen Tochter.
»Ach, dann hat dich wohl Mama angerufen …«
»Ja.«
»Und was hat sie dir sonst noch gesagt?«
»Das ist alles … Und?«
»Na ja, das ist ganz einfach: Ich werde immer eine mittelmäßige Klavierspielerin sein, warum soll ich mich da weiter anstrengen? Das ist einfach nicht mein Ding.«
»Und Karate?«
»Das langweilt mich.«
»Das langweilt dich?«
»Ja.«
»Hmm-hmm. Einfach so, urplötzlich?«
»Nein, nicht urplötzlich: Ich habe gründlich darüber nachgedacht.«
»Und was willst du stattdessen machen?«
»Keine Ahnung. Muss ich denn etwas machen? Ich glaube, ich bin alt genug, um allein zu entscheiden, oder?«
»Das kann man nicht bestreiten«, gab er zu und bemühte sich zu lächeln.
Aber seine Tochter am anderen Ende lächelte nicht. Sie starrte in die Kamera, und durch die Kamera hindurch starrte sie
ihn
mit einem finstren Blick an. Im Licht der Lampe, das ihr Gesicht von der Seite erhellte, war der blaue Fleck auf ihrer Wange noch deutlicher zu sehen. Ihr Augenbrauenpiercing funkelte wie ein echter Rubin.
»Warum stellst du mir diese ganzen Fragen? Was wollt ihr eigentlich von mir?«, fragte Margot, während ihre Stimme immer schriller wurde. »Ich hab das Gefühl, in einem verdammten Polizeiverhör zu sitzen …«
»Margot, das war nur eine Frage … Und du musst sie nicht …«
»Ach ja? Weißt du was, Papa? Wenn du deine Verdächtigen immer auf diese Weise vernimmst, kommst du bestimmt nicht weit.«
Sie schlug mit der Faust auf den Rand ihres Schreibtischs, und der Widerhall des Aufschlags im Lautsprecher ließ ihn zusammenfahren.
»Verdammt, das kotzt mich an!«
Er spürte, wie er innerlich ganz kalt wurde. Alexandra hatte recht: Ihre Tochter verhielt sich normalerweise nicht so. Jetzt musste man nur noch herausfinden, ob es sich um eine vorübergehende Veränderung handelte, die auf Umstände zurückzuführen war, die er nicht kannte – oder aber auf den Einfluss einer anderen Person.
»Tut mir leid, Mäuschen«, sagte er. »Ich bin wegen dieses Falls ein wenig gereizt. Entschuldige bitte.«
»Schon gut.«
»Wir sehen uns also in zwei Wochen, einverstanden?«
»Rufst du mich vorher an?«
Er lächelte innerlich. Dieser Satz gehörte zu der Margot, die
Weitere Kostenlose Bücher