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Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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er kannte.
    »Natürlich. Gute Nacht, mein Schatz.«
    »Gute Nacht, Papa.«
    Er ging wieder auf sein Zimmer, legte seine Jacke aufs Bett und holte sich aus der Minibar eine kleine Flasche Scotch. Dann trat er auf den Balkon hinaus. Es war fast dunkel, der Himmel über dem schwarzen Gebirgsmassiv war wolkenlos, im Westen etwas heller als im Osten. Einige Sterne funkelten wie poliertes Silber. Servaz sagte sich, dass es sehr kalt werden würde. Die Weihnachtsbeleuchtungen glichen orange flimmernden Lavaströmen, die sich durch die Straßen ergossen, aber diese ganze Hektik erschien ihm vor der urzeitlichen Kulisse der Pyrenäen geradezu kindisch. Selbst das grausamste Verbrechen wirkte angesichts des kolossalen Gebirges klein und lächerlich. Kaum mehr als ein Insekt, das an einer Scheibe zerquetscht wurde.
    Servaz stützte sich auf die Brüstung. Er griff noch einmal zum Handy.
    »Espérandieu«, meldete sich Espérandieu.
    »Ich möchte, dass du mir einen Gefallen tust.«
    »Was ist los? Gibt’s Neuigkeiten?«
    »Nein. Das hat nichts mit den Ermittlungen zu tun.«
    »Ach so.«
    Servaz rang nach Worten.
    »Ich möchte, dass du ein- oder zweimal pro Woche Margot vor ihrem Gymnasium abpasst und ihr unauffällig folgst. Sagen wir zwei bis drei Wochen lang. Ich selbst kann es nicht tun: Sie würde mich sehen …«
    »Wie bitte?«
    »Du hast mich richtig verstanden.«
    Das Schweigen am anderen Ende zog sich in die Länge. Servaz hörte Geräusche im Hintergrund. Ihm wurde klar, dass sein Stellvertreter in einer Bar war.
    Espérandieu seufzte.
    »Martin, das kann ich nicht.«
    »Wieso nicht?«
    »Das widerspricht all meinen …«
    »Es ist eine Gefälligkeit, um die ich einen Freund bitte«, fiel ihm Servaz ins Wort. »Nur ein- oder zweimal in der Woche drei Wochen lang. Du folgst ihr zu Fuß oder im Auto. Sonst nichts. Du bist der Einzige, den ich darum bitten kann.«
    Erneutes Aufseufzen.
    »Warum?«, fragte Espérandieu.
    »Ich habe sie im Verdacht, schlechten Umgang zu haben.«
    »Und das ist alles?«
    »Ich glaube, dass ihr Freund sie schlägt.«
    »Oh, verdammt.«
    »Ja«, sagte Servaz. »Stell dir vor, es ginge um Mégan und du würdest mich um das Gleiche bitten. Im Übrigen wird das vielleicht eines Tages so kommen.«
    »Okay, okay, ich mach’s. Aber ein- oder zweimal pro Woche, nicht öfter, klar? Und in drei Wochen ist Schluss, selbst wenn ich nichts gefunden habe.«
    »Mein Ehrenwort!«, sagte Servaz erleichtert.
    »Was tust du, wenn sich dein Verdacht bestätigt?«
    »So weit sind wir noch nicht. Vorerst will ich nur wissen, was da läuft.«
    »Okay, aber mal angenommen, dein Verdacht bestätigt sich und sie ist mit ’nem gewalttätigen kleinen Mistkerl zusammen – was tust du dann?«
    »Bin ich jemand, der aus dem Affekt handelt?«, fragte Servaz.
    »Manchmal.«
    »Ich will nur wissen, was los ist.«
    Er dankte seinem Stellvertreter und legte auf. Noch immer dachte er an seine Tochter. An ihre Klamotten, ihre Tattoos, ihre Piercings … Dann reiste er in Gedanken zur Klinik hinauf. Er sah, wie die Gebäude dort oben langsam unter dem Schnee einschliefen. Wovon träumten diese Monster nachts in ihren Zellen? Welche schleichenden Gespenster, welche Phantasmen nährten ihren Schlaf? Er fragte sich, ob manche wach lagen, mit offenen Augen ihre makabre Innenwelt betrachteten und die Erinnerungen an ihre Opfer heraufbeschworen.
    Ein Flugzeug flog in großer Höhe über die Berge, von Spanien Richtung Frankreich. Ein winziger silberner Span, eine Sternschnuppe, ein metallisch glänzender Komet, die Positionslichter blinkten im Nachthimmel – und Servaz spürte ein weiteres Mal, wie abgeschieden, wie weit weg von allem dieses Tal war.
    Er kehrte in sein Zimmer zurück und schaltete das Licht an.
    Dann nahm er ein Buch aus seinem Koffer und setzte sich ans Kopfende des Betts. Horaz, die
Oden.
     
    Als Servaz am nächsten Morgen aufwachte, sah er, dass es geschneit hatte: Dächer und Straßen waren weiß, die kalte Luft schlug ihm gegen die Brust. Schnell verließ er den Balkon und ging zurück in sein Zimmer. Er duschte sich und kleidete sich an. Dann ging er runter, um zu frühstücken.
    Espérandieu saß bereits in der großen Jugendstilveranda an der Fensterfront. Er war mit dem Frühstück fertig. Er las. Servaz beobachtete ihn von weitem: Sein Stellvertreter war völlig in seine Lektüre vertieft. Servaz nahm Platz und betrachtete neugierig den Einband des Buches:
Wilde Schafsjagd
von einem gewissen

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