Schwarzer Schwan
Scheiben stehend, auf die man zu jener Zeit noch ballerte, war ihm, als betrete er aufs Neue die Wohnung an der Ackerstraße. Er durchlebte alles noch einmal. Der blanke Horror.
Es hatte Monate gedauert, bis Dominik wieder ganze Nächte durchschlafen konnte. Der Psychologe, zu dem ihn die Behörde schickte, hatte selbst einen an der Klatsche, wie Dominik fand. Später halfen Seminare, Bücher, Kurse in Atemtechnik – zumindest ein wenig.
Und Jochen, der ein guter Zuhörer war, obwohl ihn eigene Probleme drückten.
Seit jenem Tag im Mai war Asanovic von der Bildfläche verschwunden. Niemand hatte je wieder von ihm gehört. Gerüchte sagten, er lebe irgendwo auf dem Balkan, unter falschem Namen.
Dominik ließ das Fenster herunterfahren, um sich frische Luft um die Ohren wehen zu lassen. Von den Übungsschüssen im Gebäude war auf dem Parkplatz nichts zu hören, nur das leise Brummen der Klimaanlage. Jenseits der Mauer tuckerte ein Rheinfrachter. Im Baum trällerte eine einsame Amsel.
Luca Asanovic, Dennis Raabe – olle Kamellen, sagte sich Dominik. Schau endlich nach vorn.
Das kriegen wir schon hin.
Warum eigentlich nicht?
Dominik startete den Motor und schlug den Weg zum Präsidium ein.
11.
Hanna saß an ihrem Schreibtisch und versuchte, sich zu beruhigen.
Das Foto, die sanften Hügel im Dunst, das Grün …
Es half nichts. Ihr Zorn glühte weiter.
Vor ihrem Fenster, im anderen Turm ein paar Etagen weiter oben: Die Lenker der RheinBank AG hatten ihr in die Suppe gespuckt.
Gern hätte Hanna sich jetzt bei ihrem Freund ausgeheult. Helmut Frantzen war vierzehn Jahre älter als sie, in Sachen Weitblick und Weltgewandtheit um Lichtjahre voraus. Und er saß im Vorstand. Vielleicht kannte er die Hintergründe der Entscheidung?
Hanna war versucht, ihn anzurufen, doch dann ließ sie es. Sie hatten sich letzte Woche gezankt und Hanna war noch immer in ihrem Stolz verletzt. Er war es, der sich bei ihr melden sollte, nicht umgekehrt. Hanna wählte stattdessen ihre eigene Privatnummer.
Zu ihrer Freude war Leonie sofort am Apparat. Es gab noch ein Leben außerhalb der Bank.
»Was machst du, mein Schatz?«, fragte Hanna.
»Englisch pauken.«
»In den Ferien?«
»Für die Nachprüfung. Ich brauche unbedingt eine Drei für die Zulassung zur Oberstufe.«
»Ich komme heute früher nach Hause. Lust auf einen Einkaufsbummel? Danach zum Italiener? Und morgen lernen wir gemeinsam.«
»Du musst nicht zur Bank?«
»Ich habe mehr als genug Überstunden angehäuft, um mir freizunehmen, wenn meine Lieblingsnichte zu Besuch ist.«
»Cool!«
Hanna hoffte, dass Leonies Begeisterung echt war. Wie lange war es her, dass sie mit dem Mädchen etwas unternommen hatte? Den Aquazoo besucht, trockene Spaghetti im Grafenberger Wildpark an Rehe verfüttert – da war Leonie noch klein gewesen. Heute würde sie der jungen Dame ein anderes Programm bieten müssen.
Nach einer halben Stunde hatte Hanna alles erledigt, was nicht auf die nächste Woche aufzuschieben war. Sie verspürte keine Lust, auch nur eine Minute länger zu bleiben.
Sie ging hinüber zu Ahrendt, um sich die Genehmigung zu holen, morgen freizunehmen. Hanna klopfte, öffnete die Tür und lugte hinein.
Das Büro war verwaist.
Hanna wollte kehrtmachen, dann besann sie sich anders. Ein Blick den Flur entlang. Kein Mensch zu sehen. Sie schlüpfte in Ahrendts Zimmer und zog leise die Tür hinter sich zu.
Auf dem Tisch lag wie vorhin die hausinterne Analyse zum US-Gewerbeimmobilienmarkt. Hanna wusste, dass darin enorme Risiken beschworen wurden. Auf der anderen Seite des Atlantiks war kein Ende der Rezession in Sicht, auch deutsche Banken besaßen dort große Investments und mussten mit weiteren empfindlichen Verlusten rechnen – möglicherweise würde sich hieran die nächste Krise entzünden, eine neue Erschütterung des Finanzsektors.
Die Schnellhefter und Notizen, die Ahrendt mit dem Bericht abgedeckt hatte, waren verschwunden.
Hanna nahm hinter dem Tisch Platz und zog Schubladen auf. Sie war überzeugt, dass ihr der Abteilungsleiter etwas verschwieg. Seine Worte: Nimm es sportlich.
Genau das tue ich, sagte sich Hanna.
Hastig suchte sie nach den weggeräumten Unterlagen. Sie wühlte und blätterte. In der dritten Schublade wurde sie fündig. Eine Seite fiel zu Boden. Hanna hob sie auf.
Intern, vertraulich.
Herzklopfen – Hanna überflog die wenigen Zeilen. Es war ein Kurzprotokoll der heutigen Sitzung des Gesamtvorstands und dokumentierte die Beschlüsse,
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