Schwarzer Schwan
– das Zeichen, dass er tatsächlich den Otto von heute Mittag an der Strippe hatte. Patrick hörte zu und nickte. Als er antwortete und sie sich für den nächsten Tag verabredeten, klang seine Stimme heiser.
Ein untrügliches Zeichen: Patricks Nerven waren angespannt.
18.
Schon halb fünf. Wo blieb Paula nur? Es war nicht einfach, den einzigen freien Stuhl des kleinen Lokals zu verteidigen.
Mierscheid hatte das Gefühl, in den letzten Tagen nur für diesen Moment gelebt zu haben. Das Café war drückend voll, der Deckenventilator rührte träge in der schwülen Luft und die Leute stauten sich vor dem Verkaufstresen bis hinaus auf die Straße. Alles erinnerte Mierscheid an früher. Die Auswahl an Eissorten las sich exakt wie in den Achtzigern, selbst an der Einrichtung schien sich nichts verändert zu haben.
Draußen plärrte ein Martinshorn und verstummte gleich wieder.
Mach Malte fertig – Mierscheid musste ständig daran denken, dass das nicht nach einer glücklichen Beziehung geklungen hatte. Ihm kam die einzige Knutscherei in den Sinn, die er je mit Paula gehabt hatte. Kurz bevor sie mit Malte fortgegangen war. Die Zeit seitdem erschien Mierscheid bedeutungslos.
Die Bedienung sammelte leere Pappbecher, Gläser und Tassen ein. Mierscheid bestellte noch einen Espresso. Dann kramte er sein Handy hervor, bearbeitete das Display, bis es Paulas Nummer zeigte, und rief sie an. Wieder nur die Automatenstimme, die um eine Nachricht bat. Mierscheid steckte das Telefon weg.
Er nahm Unruhe wahr. Die Gäste an den Fensterplätzen glotzten auf die Straße. Allmählich begann sich die Schlange aufzulösen, immer mehr Leute strömten nach auf die Straße.
Schließlich wurde auch Mierscheid neugierig, legte einen Zehner auf den Tisch und folgte.
Blaues Geflacker vor dem Aachener Platz. Polizei und ein Notarztwagen. Weitere Fahrzeuge kreuz und quer. Sanitäter, die sich um einen blassen Mann in Lederweste kümmerten, der vor einem Taxi auf dem Bordstein saß. Flatterband sperrte den Bereich weiträumig ab.
Nachbarn und Passanten standen und gafften. Mierscheid drängte sich bis zur Absperrung durch. Er wandte sich an einen Uniformierten und fragte, was los sei, doch der Polizeibeamte blaffte ihn nur an, als behindere er Rettungsarbeiten.
Ein Bestatterfahrzeug rollte heran. Mierscheid bemerkte Leute in weißen Overalls, die kleine Schilder aufstellten, Abstände zwischen Kreidekringeln auf dem Asphalt vermaßen und fotografierten.
Er stellte sich auf Zehenspitzen und stützte sich auf einen Nebenmann. Jetzt konnte er eine Gestalt ausmachen, die hinter dem Taxi lag: kurzes, rotblondes Haar, ein eleganter, schwarzer Anzug – derselbe wie neulich auf dem Balkon der Komischen Oper.
Mierscheids Herz schlug wie beim Fallschirmsprung im freien Fall. Er schickte sich an, über das rot-weiße Band zu steigen. Der Uniformierte zerrte ihn zurück.
»Paula!«, entfuhr es Mierscheid.
Er fiel, doch da war kein Fallschirm. Der Polizist hielt ihn fest. Mierscheid schaffte es nicht, sich aus dem Griff zu befreien. Ihm brach der Schweiß aus. Er nahm wahr, wie zwei Bestatter die Hecktür ihres Leichenwagens öffneten.
»PAULA!«
Eine Frau in Zivil stand vor ihm und zeigte eine Blechmarke. »Anna Winkler, Kripo Düsseldorf. Sie kennen die Tote?«
Mierscheids Hals schnürte sich zu. Die Bestatter wälzten den reglosen Körper auf die Bahre und schoben ihn in das Fahrzeug. Die Hecktür knallte ins Schloss.
Jemand tastete Mierscheid ab.
Eine Männerstimme: »Keine Waffe, Anna. Sollen wir ihn in die Festung mitnehmen?«
Die Kommissarin geleitete Mierscheid zu einem neutral lackierten Wagen. Sie öffnete ihm die hintere Tür und drückte ihre Hand auf seinen Kopf, damit er sich beim Einsteigen nicht stieß. Die Umstehenden glotzten.
Das Leichenauto stieß eine Rußwolke aus und fuhr davon.
Mierscheid fiel und fiel und fiel.
Teil II – Die Frau im Fokus
Teil II
Die Frau im Fokus
19.
Der Kerl meint, dass sich meine Schürfwunden entzünden, wenn er nichts dagegen tut. Vielleicht hat er recht, ich halte lieber still. Die Tinktur brennt fürchterlich. Er klebt Pflaster darüber. Sanft streicht er die Ränder fest.
Er sagt, er würde für mich sorgen. Ich halte das nicht mehr aus und trete nach ihm, doch der Mann lacht nur und geht einfach.
Die Tür fällt hinter ihm ins Schloss.
Mir wird schlecht vor Panik.
Die Kette … Ich rüttle und stemme mich gegen die Wand, so fest ich nur kann … nichts tut sich, nur die Haut an
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