Schwarzer Schwan
Naming, Brand Design und Claim mussten entwickelt werden. Davon ausgehend würde festgelegt werden, wie sich das Unternehmen präsentierte, vom Internet bis hin zum Briefpapier. Die Etatsumme war beachtlich, wie es hieß.
Schon morgen würde Lillys erster Tag sein. Zunächst wieder nur als Praktikantin. Aber wenn sie sich gut ins Team füge, sei eine Festanstellung sehr rasch möglich, hatte der Creative Director glaubhaft versichert.
Lilly trocknete sich die Wangen. Sie rief Patricks Handy an, dann seine Eltern. Niemand ging ran.
Was hatten die Bullen erzählt? Eine Leiche in einem verbrannten Polo auf einem Parkplatz in Düsseldorf …
Patrick hatte sich in Düsseldorf mit dem Otto treffen wollen.
Ihr Liebster war nicht tot. Es durfte nicht sein.
Lilly schmeckte Blut und zwang sich aufzuhören, Hautfetzen von der Lippe zu beißen.
Ihr fiel der Karton unter ihrem Bett ein. Die Beute der letzten Tage, zumindest das, was davon noch übrig war. Die Kataloge für Kaminöfen waren längst im Altpapiercontainer gelandet. Die Aktentasche vom Samstag hatte Patrick nach Düsseldorf mitgenommen. Geblieben waren der Laptop von Otto Nummer zwei und die ausgedruckten Dokumente von Otto Nummer drei.
Patrick waren die Papiere komisch vorgekommen. Irgendwie illegal.
Lilly musste an die Worte des Bullen denken: Sie machen sich allenfalls strafbar.
Sie überlegte, was Patrick an ihrer Stelle tun würde. Ganz klar: den Karton beseitigen und hoffen, dass man ihm nicht auf die Schliche kam.
Aber womöglich lebte er tatsächlich nicht mehr. War ermordet worden beim Versuch, den Inhalt der Aktentasche zu Geld zu machen. Lilly war klar, dass die Staatsmacht sie drankriegen würde, wenn sie das verschwieg.
Aber auch, falls sie alles beichtete.
Sie saß wie gelähmt auf ihrem Küchenstuhl.
26.
Wieder lenkte Anna den Wagen. Dominik wählte die Nummer des Landeskriminalamts und kündigte die Proben für den DNS-Vergleich an.
Dann sagte er zu seiner Kollegin: »Die Frau lügt.«
»Du guckst zu viele Fernsehkrimis.«
»Was wetten wir, dass Patrick Neidel unsere Brandleiche ist?«
Anna bremste, eine rote Ampel. Ein Seitenblick auf Dominik. »Trotzdem. Du hättest sie etwas behutsamer behandeln können.«
»Oppers muss etwas mitbekommen haben. Ihr Freund fährt am Abend los und trifft sich mit jemandem, der ihm eine Kugel in den Kopf schießt. So etwas geschieht nicht aus heiterem Himmel. Neidel war in eine schlimme Sache verstrickt. Er hat sich Feinde gemacht. Irgendetwas in dieser Art.«
»Du spekulierst.«
»Man wird nicht einfach so erschossen. Nicht von jemandem, der das Projektil und die Nummernschilder verschwinden lässt und das Auto anzündet, um sämtliche Spuren zu beseitigen.«
Anna schwieg. Grün, weiter.
Ein blaues Schild wies den Weg zur nahen Autobahnauffahrt.
Dominiks Handy machte sich bemerkbar. Eine Ratinger Nummer auf dem Display.
Er machte Handzeichen, damit Anna den Wagen am Straßenrand anhielt, und bemühte sich, einen freundlichen Ton anzuschlagen. »Schön, dass Sie sich so rasch melden, Frau Oppers.«
»Ich glaube, ich muss Ihnen etwas zeigen.«
»Wo?«
»Bei mir in der Wohnung.«
»Gut. Wir sind in zehn Minuten wieder da. Sorgen Sie bitte dafür, dass wir zur Haustür hineinkommen.«
Dominik steckte das Handy weg. »Hab ich’s mir doch gedacht.«
Anna wendete und gab Gas.
Lilly Oppers führte die beiden Ermittler in die Küche. Mit den Resten verschmierter Wimperntusche unter den Augen wirkte die junge Frau wie ein Gespenst. Auf dem Tisch lag ein Karton, darin ein Laptop und ein Stapel Papier.
Oppers räusperte sich und deutete darauf. »Das hab ich in Patricks Sachen gefunden.«
Garantiert nicht erst, nachdem wir weg waren, dachte Dominik und griff nach den Seiten. Sie wirkten wie ein Dossier, dem nur der Aktendeckel fehlte. Ausgedruckte Fotos, einige davon mit Notizen am Rand: Datum, Uhrzeit …
Observationsberichte.
Die Frau, die beobachtet worden war, trug Businessklamotten und fuhr einen Mercedes mit Berliner Kennzeichen. Ihr markanter Kurzhaarschnitt fiel auf. Anfang vierzig, schätzte Dominik. Eine Großaufnahme, mit langer Brennweite geschossen, ließ helle Augen erkennen, einen wachen, aufmerksamen Blick – ein Gesicht, das in letzter Zeit durch alle Medien gegangen war.
Eine steile Falte auf Annas Stirn. »Ist das nicht …?«
»Ich habe damit nichts zu tun!«, beteuerte Oppers rasch.
»Das ist doch die Frau, die vorgestern am Aachener Platz ermordet worden
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