Schwarzer Schwan
unterlegen gewesen.
»Heute ist Lichtenbergs Auftritt – kann da etwas anbrennen?«
»Nein«, antwortete Mierscheid. »Es sei denn, der Staatssekretär verplappert sich. Aber das ist eigentlich ausgeschlossen.«
Draußen floss träge die Spree. In vierzig Minuten würde der Ausschuss zusammentreten – Mierscheid war klar, dass Soltau ihm auf den Zahn fühlen wollte. Der Parteifreund traute ihm noch immer nicht. Wenigstens sprach er ihn nicht auf die Spekulationen an, die gestern der Blitz verbreitet hatte. Heimliche Liebestreffen fern der Hauptstadt – so ein Quatsch. Wer war bloß dieser ›intime Kenner‹, der in dem Artikel zitiert wurde?
Mierscheids Stuhl schabte laut über den Terrazzoboden, als er sich setzte. Der ARD-Korrespondent warf einen Blick vom Nachbartisch herüber, dann wandte er sich wieder voll und ganz dem Abgeordnetenkollegen zu, der die Grünen im Untersuchungsausschuss vertrat. Was die beiden beredeten, konnte sich Mierscheid denken: Die Medien gierten nach dem Skandal, den der Oppositionsmann witterte, aber nicht belegen konnte.
Dabei war die Sache simpel. Die MHE, vor ihrer Expansion ein solider Immobilienfinanzierer, hatte Risikogeschäfte mit ausländischen Hypotheken auf Pump betrieben. Die Konkurrenz hatte der MHE dafür in schwindelerregendem Umfang Geld geliehen, um am erhofften Reibach teilzuhaben. Ackermann hatte seinen Aktionären fünfundzwanzig Prozent Rendite versprochen, Dingendorff ihn sogar noch zu übertrumpfen versucht. Die Institute beider Manager kassierten enorme Zinsen von der Münchner Hypo Estate.
Dann war eingetreten, womit die Beteiligten insgeheim gerechnet hatten: Die Blase platzte, der MHE drohte die Zahlungsunfähigkeit. Indem aber die Bundesregierung einsprang, blieb dies ohne große Folgen für die Gläubigerbanken, die ihre Aktionäre auf diese Weise selbst im Krisenjahr mit üppigen Dividenden beglücken konnten.
Das hatten sie Malte Lichtenberg zu verdanken. Schon Monate vor der MHE-Pleite hatten sich die Alarmmeldungen der Aufsichtsbehörde auf dem Schreibtisch des Staatssekretärs gestapelt. Malte hatte sie ignoriert, statt rechtzeitig einzugreifen. Als die MHE vor dem Aus stand, hatten Maltes Mitarbeiter den Konkurs empfohlen. Auch darüber war er hinweggegangen. Das gesamte Drehbuch hatte die Rhein- Bank geschrieben, Dingendorff und seine Leute, wie Mierscheid wusste. Ihnen war Staatssekretär Lichtenberg gefolgt – zum Schaden für die Steuerzahler, für deren Wohl er eigentlich sorgen sollte.
An einem Sonntag im September 2008 war Malte zur Krisensitzung nach Frankfurt geflogen, wo er den harten Verhandler spielte. Die Geldinstitute beteiligten sich mit schlappen acht Milliarden an der Rettung. Inklusive aller Bürgschaften und Zuschüsse hatte sich dagegen das Engagement des Bundes bis heute auf das Achtzehnfache summiert.
Die Kanzlerin hatte den Deal noch in der gleichen Nacht abgenickt und vermelden lassen, sie habe in einen Abgrund geblickt – Dramatisierung als probates Mittel, um Kritik erst gar nicht aufkommen zu lassen.
Dabei hatte es diesen Abgrund nie gegeben. Keine Gläubigerbank wäre an der MHE-Pleite zugrunde gegangen, kein Sparer hätte seine Einlagen verloren. Mierscheid kannte Insider, die das bezeugen konnten. Er hätte sie als Zeugen laden, ihnen die richtigen Fragen stellen und Malte in die Pfanne hauen können.
Aber mit dem Staatssekretär auch die Regierungschefin und die Topmanager der Finanzindustrie. Warum sollte er sich sein politisches Grab schaufeln? Einer Toten zuliebe? Nur, um sich einzubilden, in Paulas Sinn zu handeln?
Soltau machte sein Zitronenbeißergesicht. »Die Kanzlerin sorgt sich.«
»Nicht nötig«, antwortete Mierscheid. »Spätestens heute Abend wird keiner mehr an Lichtenbergs Rang als Retter des deutschen Bankenwesens zweifeln können.«
»Höre ich da Ironie heraus?«
Mierscheid zuckte mit den Schultern.
Soltau leerte bereits den vierten Sahnebehälter in seine Kaffeetasse. »Und warum die ungewöhnliche Reihenfolge der Vernehmungen? Zuerst die großen Kaliber Ackermann und Dingendorff, nach der Sommerpause dann die subalternen Mitarbeiter der Banken und Aufsichtsbehörden – ist es sonst nicht üblich, dass einer wie Malte Lichtenberg erst gegen Ende des Ausschusses aussagt, um notfalls das letzte Wort zu haben und auf unvorhergesehene Erkenntnisse reagieren zu können?«
»Sonst schon. Aber nicht so kurz vor den heiklen Landtagswahlen, die uns bevorstehen. Das Thema sollte möglichst
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