Schwarzer Schwan
Gesuchte schwang die Beine über das Geländer. Er blickte zurück, dann nach unten.
Schulz hielt den Atem an.
Der Tünnes sprang, bevor Wächter ihn erreichte.
Ein Raunen ging durch die Passanten.
Dann ertönte ein schier endloses Kreischen, und Schulz wusste sofort, dass ihn dieser Sound für immer verfolgen würde.
Er riss den Kollegen vom Geländer los und führte ihn zurück zum Streifenwagen, um Meldung zu erstatten.
Schulz sah auf den leeren Rücksitz. Der Pisser hatte sich aus dem Staub gemacht.
39.
Das KK 12, nur noch inoffiziell ›Sitte‹ genannt, war auch für Vermisste zuständig und lag im selben Flügel wie die Mordkommission, exakt ein Stockwerk darüber. Im Flur stieß Dominik auf einen der beiden Sachbearbeiter, die sich Sax’ Notebook vorgeknöpft hatten. Der Kollege wollte gerade in die Kantine.
»Macht euch schon mal auf noch einen PC und jede Menge weiterer Speichermedien gefasst«, sagte Dominik.
»Sax?«
»Ein Fotosammler aus Leidenschaft, wenn du mich fragst.«
»Stimmt es, dass er euch entwischt ist?«
Dominik ärgerte sich, dass die Nachricht von ihrem Malheur so schnell die Runde gemacht hatte.
»Er kommt nicht weit. Und dann wird der Wichser für den Rest seines Lebens nicht mehr glücklich.« Für ihn war es ausgemachte Sache, dass Sax der Mörder von Patrick Neidel war. Der Mann besaß ein unschlagbares Motiv: die Notwendigkeit, seinen Erpresser zum Schweigen zu bringen.
»Wer macht bei euch die Vermisstensachbearbeitung?«, fragte Dominik.
»Susi«, antwortete der Kollege und deutete auf die Tür, vor der sie standen.
Ein Schild: KHKin Susanne Hachmeister. Dominik klopfte und trat ein.
Eine üppige Frau um die fünfzig empfing Dominik mit einem Lächeln, doch der Zug um die Mundwinkel wirkte hart. Ihre Frisur fiel auf, kraus und schwarz, vermutlich gefärbt. Die viele Chemie tat ihrem Haar sichtlich nicht gut.
Dominik stellte sich vor und erkundigte sich nach Leonie Kaul.
Hachmeister rutschte mit ihrem Bürostuhl um einige Zentimeter zurück und blickte Dominik an, als habe er Hundescheiße an den Schuhen.
»Sie ist die Nichte einer Zeugin«, bemühte er sich zu erklären. »Ich habe der Tante versprochen, mich um die Sache zu kümmern.«
»Willst du meinen Job übernehmen? Nur zu! Ich schleppe einen ganzen Sack voll Überstunden mit mir herum und würde jetzt auch lieber die Sonne genießen wie die Kollegen, die Kinder haben.«
»Leonie ist noch nicht wieder aufgetaucht, oder?«
»Hör zu, Mann, mach deine eigene Arbeit und lass mich in Ruhe meine tun.«
»Man wird doch mal fragen dürfen.«
»Weil du’s der Tante versprochen hast. Ist das deine Masche bei Frauen?«
Dominik beschloss, nicht nachzugeben. Dies war seine Chance, etwas für Hanna zu tun. Er zog den Besucherstuhl heran und setzte sich. »Hast du die Kollegen vom Verkehr kontaktiert? Vielleicht liegt ein Unfall mit Fahrerflucht vor. Was hat die Untersuchung des Fahrrads ergeben?«
»Des Fahrrads?«
»Ja.«
»Es gab keinen Unfall. Das Ding steht brav angekettet in der Suitbertusstraße.«
»Ich hab’s mit Handschellen gesichert, damit es nicht wegkommt. Es lag auf dem Gehsteig, als ich es heute Nacht gefunden habe. Hast du meinen Bericht nicht gelesen?«
Die Frau begann, in den Akten zu stöbern, die ihren Tisch bedeckten. Auf ihrem Stuhl rollte sie zum Schrank. Noch mehr Papierkram. Endlich hielt sie einen dünnen Ordner in der Hand, den sie aufschlug.
»Pass auf, Kollege. Die Mutter war heute Morgen hier. Sie räumt ein, dass es Spannungen zu Hause gegeben hat. Leonie akzeptiert den Freund der Mutter nicht. Das Mädchen ist eifersüchtig, so einfach ist das. Was meinst du, wie oft es vorkommt, dass ein Gör abhaut, weil es will, dass man sich Sorgen macht. Bis zum Ende der Ferien ist die Kleine garantiert wieder da.«
»Und wenn es nicht so einfach ist?«
Hachmeister packte ihren Kaffeebecher und verließ ihr Büro. Hastige Schritte, als wollte sie Dominik abschütteln.
Er blieb ihr auf den Fersen. »Was ist, wenn das Mädchen nicht aus freien Stücken abgehauen ist?«
Am Ende des Flurs war eine Kinderspielecke eingerichtet. Die Tür davor führte in einen Besprechungsraum, der auch als Teeküche diente. Ein großer Tisch, Flipchart, eine Dartscheibe an der Wand, mehrere bunte Kunstdrucke. Der Kaffee in der Maschine roch halbwegs frisch.
Hachmeister füllte ihren Becher, ohne Dominik etwas anzubieten. »Leonie Kaul ist nicht zum ersten Mal abgängig. Es ist Sommer. Die Kids fahren
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